Brief vom 18. Februar 1766, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 18. Februar 1766

Berlin den 18 Febr.

Endlich, mein theürester Freünd, kann ich Ihnen die Wiederherstellung meiner Gesundheit berichten. Seit 8 Tagen bin ich ohne Fieber und nun in einer Cur begriffen, die mich vor einem Rückfall verwahren soll. Die Gefahr das Leben zu verliehren, war die geringste Beschwerlichkeit bey diesem heßlichen Fieber: ich habe sehr, gar sehr viel dabey gelitten. Mit dem Fieber bin ich auch einer andern Sorge los geworden. Ich fing an sehr bekümmert zu werden, was ich noch wegen der Jfr. Meisterin für einen Entschluß zu nehmen hätte. Sie hat sich für mich entschloßen. Ein reicher Kauffman aus Bourdeaux, ein Basler von Geburth hat hier geheyrathet und seine Frau nimt unsre J. Meist. zu ihrer Gesellschaft mit sich. Unsre lezten Briefe sind vor einander vorbey gegangen. Der Ihrige hat mir und Wegelin einen vergnügten Abend gemacht. Sie malen mir ihre CC so ab, daß ich keine Lust hätte unter ihnen zusizen und ich möchte weder Geßnern noch den Dr. Hirzel zu Collegen haben.

Die Genffer Bürger werden sich bey der Gesandtschaft eben so wol befinden, als jene Gemeinde, die sich über die Betrügereyen ihres Müllers beklagt, deren Untersuchung andern Müllern aufgetragen worden. Es scheint, als wenn dies Jahrhundert für alle Eürop. Völker eine Zeit der Knechtschaft seyn soll. An ihrer Stelle würde ich doch nicht mehr in die Gesellschaft der CC gehen. In allen Absichten ist es doch eine schlechte Gesellschaft für einen Philosophen. Wegelin macht sich hier überall sehr beliebt. Der junge Escher wird so viel gesunde Begriffe und gute Maximen mit sich zurüke bringen, als sein Kopf hat vertragen können, vielleicht noch etwas darüber.

Noch eine neüe Freüde ist es für mich, daß der ehemalige Hr. Mitchell nun mehr Sir Andrew wieder als Gesandter hieher kommt. Ich hoffe also dieses Jahr unter mancherley Vergnügen zuzubringen. Dazu rechne ich auch izt schon, der Besiz eines sehr ähnlichen Portraits von J. J. Rousseau, das ich von Mylord Marshall bekommen habe. Es soll neben dem ihrigen mein Musæum ausziehren. Ich umarme Sie von Herzen. Ich schriebe gern länger, aber ich fürchte mich meine neüe Kräfte zu mißbrauchen.

Leben Sie denn wol.
JGS.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Anschrift

Herrn Bodmer, Mitglied des Großen Raths und Profeßor in Zürich frco. Nrnb.

Vermerke und Zusätze

Siegelreste.

Stellenkommentar

Betrügereyen ihres Müllers
Nicht ermittelt. In diese Zeit fällt die Auseinandersetzung der Bornstedter Gemeinde mit dem Müller Johann Wilhelm Ludwig Graevenitz, desse Mühle in der Nähe des Schlosses Sanssouci stand und der deshalb in einen Rechtsstreit mit König Friedrich II. verwickelt war. Vgl. dazu Schneider Die historische Windmühle bei Sanssouci 1847. Ob sich Sulzer mit seiner Äußerung darauf beruft, ist jedoch unklar.
wieder als Gesandter
Andrew Mitchell verbrachte sein letztes Lebensjahrzehnt in Berlin, wo er 1771 starb und in der Dorotheenstädtischen Kirche beerdigt wurde.
von Mylord Marshall
Rousseaus Freund George Keith, der dem Philosophen Asyl gewährt hatte. Um welches Porträt es sich dabei handelte, konnte nicht ermittelt werden. 1766 entstand das berühmte Porträt Rousseaus von Allan Ramsay.
mein Musæum
Sulzer hatte bereits in seinem ersten Haus ein mit Porträts von Gelehrten und Freunden ausgestattetes Kabinett (vgl. Kommentar zu Brief letter-sb-1751-02-08.html) eingerichtet. Auch in seiner Wohnung in der Heiliggeiststraße scheint es einen entsprechenden Raum gegeben zu haben.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann