Brief vom 23. März 1766, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 23. März 1766

den 23 März.

Mein theürester Freünd.

Unsre Jfr. Meisterin wird Ihnen also diesen Brief überbringen. Das arme Mädchen hat also eine kurze und eben nicht angenehme Wanderschaft gemacht. Sollten Sie Gelegenheit haben sie näher kennen zulernen, so werden Sie einsehen, daß sie wolgethan hat eine Lebensart aufzugeben, für welche sie in keiner Absicht gemacht war. Ich schließe aus einigen Reden, welche sie seit kurzem geführt hat, daß sie dort die Verändrung so vorstellen könnte, als wenn ich sie verursacht hätte. Deßwegen muß ich noch einmal wiederholen, was ich Ihnen schon geschrieben habe, daß ich nicht den geringsten Antheil daran habe und daß sie, so gegen alle meine Erwartung den Antrag gethan hat mich zu verlaßen; daß sie sich meinen Rath über die Veränderung ausgebeten, und daß ich auch darin kein Wort gesagt habe, woraus sie hätte vermuthen können, daß ich die Veränderung gerne sähe. Alles dieses mein theürester sage ich Ihnen darum, weil ich sehe, daß man nicht allemal der Wahrheit treü bleibet. Denn was man Ihnen ehedem, von vielem Traktiren in meinem Hause, und von vielen Staats Visiten die man zu machen habe, gesagt, ist der Wahrheit gar zu gerade entgegen. Auch ihre Verwandten sind nicht allemal aufrichtig. Dieses sehe ich aus dem, was Sie mir über die Correspondenz mit ihrem Vetter geschrieben haben. Denn die ausschweiffenden Briefe von denen ich Ihnen ehedem geschrieben habe, sind von mir und von vielen andern würklich gelesen worden. Also steht es den jungen Leüthen sehr übel an, Ihnen das Gegentheil beyzubringen. Aber es sey nun genug hievon.

Mit meiner Gesundheit geht es, Gott seys gedankt, recht gut. Ich fange an alle meine gewöhnliche Verrichtungen wieder zu thun. Den Rest der mir vorgeschriebenen Cur, werde ich um sie viel genauer beobachten, weil es mit meiner Neigung übereinkomt in freyer Luft anhaltende Bewegung zu machen. Ich werde also den größten Theil des Sommers in meinem Garten zubringen und ihn in völligen Stand sezen. Meine Arbeit an dem eignen Wörterbuch wird darum nicht ganz weggelegt, denn die frühesten Morgenstunden sind ihm immer gewidmet.

Von der hiesigen wizigen Welt kann ich Ihnen nicht die geringste Nachricht geben, weil ich sie ganz aus dem Gesicht verlohren habe. Ich bin seit der Zeit, da ich mich wieder einiger Sachen annehmen kan, mit Academischen Arbeiten überhäuft gewesen. Unserm braven Wegelin gefällt es hier immer beßer und wer ihn kennen lernt sieht ein was er werth ist. Von ihm kommen meine angenehmste Stunden her. Von Lambert fürchte ich gar sehr, daß er hier nicht so weit kommen werde, als ich es wünsche. Er hat mit keinem Menschen zu thun, dem er nicht bald gerade zu zuverstehen giebt, wie sehr hoch er sich selbst über seze. Ich habe ihm mehr als einmal freündschaftlich gesagt, daß er mit diesem Betragen sich schade, aber er hört gar selten, was andere sagen. Er treibt dieses würklich unglaublich weit. Wegelin versucht gar oft die spizigsten Pfeile der Ironie gegen ihn, aber ohne die geringste Würkung. Wie Schade, daß ein so großer Geist, so wenig gesellschaftliche Aufführung hat!

Ich bitte Sie sehr, dem Füßli bey der ersten Gelegenheit zusagen, oder sagen zulaßen, wie sehr er mich durch sein Stillschweigen verlegen macht. In unserm Staat ist alles in einer großen Gährung. Der König glaubt wol zu thun, wenn er sein Finanzwesen nach dem Muster des Französischen einrichtet und hat eine Menge franz. Fermiers hieher kommen laßen, um sich ihres Raths zu bedienen. Die, welche in diesen Sachen noch für die Klügsten müßen gehalten werden, sagen, daß durch die Ausführung dieses Systems das Land wird ruinirt werden. Ich halte mich für sehr glüklich in diesem Land einen Beruff gefunden zu haben, der mir erlaubt in Ansehung meiner selbst, allen diesen Sachen in der Stille und völliger Ruhe von weitem zuzusehen.

In beyliegendem kleinen Plan des Berlinischen Parks werden Sie den Ort meines Gartens finden. Es ist der lezte von den Plantationen des Moabiter Landes, da wo der Name des Flußes steht. Aus der Statt kan ich also entweder zu Waßer, oder durch den Park oder durch den schönen Wald des Moabiter Landes dahin kommen.

Es verlangt mich sehr nach Nachrichten von Winterthur und der Zeitung, daß die dortigen Streitigkeiten beygelegt seyen.

Und nun, mein theürester, umarme ich Sie von ganzem Herzen.

JGSulzer

Ich habe vergeßen Ihnen zu sagen, daß ich schon eine Person im Hause habe, welche die Jfr. M. ablöset. Aller Anschein ist da, daß ich doch endlich meiner bisherigen HausSorgen werde entlediget seyn. Diese Person ist in den Verrichtungen die ihr aufgetragen sind alt geworden, und hat dieselben 16 Jahre lang in einem hiesigen Haus mit bester Zufriedenheit der Familie verwaltet.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Anschrift

Herrn Bodmer Mitglied des Großen Raths und Profeßor in Zürich.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Plan von Sulzers Garten.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite mit rotem Stift: »Empfangen den 12 Aprill durch Mle Meisterinn«. Vermerk ebd. mit Tinte: »Verbal d'experts; nouveau sisteme de juriprudence concernant les tutelles &c introduit dans la Ville de Berne. Composé par Alb. Steiger Substitut de Grèfe de Berne et C. F. Bucher notaire. Collationé par Ryhiner et enrichi des remarque par le Colonel de Porte. De Porte avait protegé le mineur de Vigne contre le bailif Abr. Tscharner de Nion, le Conseiller Vateville de Belp, le Conseiller Sinner, presentement banneret et mediateur à Geneve, le Conseiller Manuel; le baillif Vitebac de Serlier, A. Steiger substitut de grefe, J. P. Ryhiner secretaire de la haute commission. De Portes etoit Seigneur de Genollier, dans cette qualité il protegea le mineur son jurisdiciable. Il fut obligé d'abandonner l'heritage de son pere, decreté de prise de Corps par une suite de la Recusation qu'il a fait du Cons. Vateville.« Vgl. A. Steiger u. a., Verbal d'experts, 1765. Die archivierten Stücke zum Prozess von Louis de Portes gegen Daniel Tscharner, den Landvogt von Nyon, befinden sich teilweise im Fonds Loriol, Archives Cantonales Vaudoises, Sign. PP 614. – Siegel. – Siegelausriss.

Eigenhändige Korrekturen

vermuthen können
vermuthen soll können

Stellenkommentar

sein Finanzwesen
Zum Finanzwesen unter Friedrich II. vgl. Ziechmann Finanz- und Steuerwesen 1985.
Fermiers
Pächter.
kleinen Plan des Berlinischen Parks
Der Plan ist überliefert in der Abschrift der Korrespondenz (ZB, Ms Bodmer 13a). Es handelt sich dabei um einen von dem Kupferstecher Johann David Schleuen gestochenen Plan des Tiergartens, der im Auftrag der Berliner Akademie 1765 angefertigt worden war. Die Namen der Alleen und Plätze sind eingestochen. Vgl. Abb. 6.
Ort meines Gartens
Zu Sulzers Moabiter Garten und seinen gartenbaulichen Aktivitäten vgl. Kittelmann Botanisches und gartenbauliches Wissen in Sulzers (Brief-)Werk 2018.
eine Person im Hause
Nicht ermittelt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann