Brief vom 25. Dezember 1751, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 25. Dezember 1751

Mein werthester Herr und Freünd.

Ich habe diese Weynachts Feyertage mit großem Verlangen erwartet, um die Muße, die sie mir geben anzuwenden meinen Freünden die rükständigen Brief Schulden abzutragen. Der lezte Brief von Ihnen ist vom 8 Octob. mit welchem ich zugleich den Crito bekommen, wofür ich Ihnen sehr verbunden bin. Seit dem ich zu meinen ordentlichen Geschäfften noch ein außerordentliches, nämlich ein Haus neü anzulegen und aufzubauen übernommen habe, bin ich aus der Verbindung mit der gelehrten welt gekommen, um so viel mehr, da diejenige von meinen Bekannten, die mich sonst immer in diesem Geschmak unterhalten, insonderh. Ramler, mir nach und nach frömd werden. Dieser ekele Kunstrichter wird so delicat, daß ihm von neüern Werken des Geistes gar nichts mehr gefällt, als was er selber macht, und er sucht alle seine Bekannten in diesen Geschmak zu ziehen. Ich hatte oft Lust, wann ich ihn gegen andre vom Noah, Meßias p. reden hörte, die Fabel zu erzählen, wie ein Bauer einen Arzt wiederlegt, der ihm behauptet, das Mittel wodurch er sich das Fieber Curirt, wäre kein gutes Mittel.

Anjezo ist Gleim hier, aber ich sehe ihn auch wenig. Er ist verdrießlich, daß ich ihm nicht eine Frau verschaffe, die ich ihm nicht verschaffen kann, weil ich nicht in der geringsten Connexion mit ihr stehe. Es kömmt mir bald vor, als wenn unsre deütsche wizige Köpfe von einem ganz andern Teig gebaken wären, als meine Freünde in der Schweiz. Denn ich kann keinen finden, deßen Herz mit dem meinigen zusamenfließen wollte. Wenn ich dieses poetisch zusagen hätte, so würde ich solche Herzen mit zwey tropfen von Waßer und oel vergleichen, die man vergeblich an einander drükt, sie fließen nicht zusamen. Aber ich sehe, daß ich versäume auf ihren Brief zu antworten.

Der Crito könnte ein recht gutes Werk werden, wenn Sie alle Stüke durch ihre Censur gehen ließen. Man merkt hier und da, daß die Verfaßer noch jung sind. Wie fürtrefflich haben Sie sich des Twiddle dum p. bedienet. R. selbst hat dieses gelobt ungeachtet er mit Verachtung von dem übrigen gesprochen. Ich hätte ihm gerne mögen ins ohr sagen, daß er die Nachricht von der Gesellschafft des Hexameters mit ein wenig Nachdenken durch läse. Aber er ist zu sehr gegen die Leüte eingenommen, die die neüen epischen Dichter vertheydigen wollen.

Ich hatte die verwiechene Meße die Nachricht vom Parcifal vor meine Augen gelegt und doch vergeßen einzuschließen. Seit dem habe ich mir meine Nachläßigkeit so ofte vorgerükt, daß ich bey erster Gelegenheit mich derselben gewiß erinnern werde.

Ich höre mit ungemeinem Vergnügen, daß Noah unter der Preße ist. Ich kann mich nicht überwinden, ehe ich den neüen Noah gesehen habe, den alten wegzugeben, weil ich besorge, es möchten einige Stellen, die mich gerühret etwa übergangen worden seyn. Allein so bald ich beyde werde gegen einander gehalten haben, werde ich Ihnen ihr Mst. wieder zuschiken. Das Gleichniß vom Amselnest dünkt mich so gut angebracht, daß ich es nicht gerne mißen würde. Es steht an einer Stelle, wo nothwendig eines seyn muß.

Ich bin überaus begierig etwas näheres von dem neüen Herman zu hören. Ehe ich den Sächsischen Herman gesehen, dachte ich, daß sie von demselben sprächen. Wißen Sie, daß der Bauzner den Nimrod gemacht hat. Gleim sagt er habe ganze Kuffer voll Heldengedichte und Tragedien liegen, die er herauslangt, wenn ihn die Noth um Brodt treibet.

Da ich meiner Frauen ihren Brief gelesen, und auf die Stelle kam, da sie sagen, ich stehe in der Ende, daß ich den Joseph und Zuleika nicht schreiben därff, ließ sie wie einer der einen Schreken hat einen Schrey hören, und beklagte den Verlust eines Werks von dem sie sich so viel angenehmes versprochen. Sie wurd aber durch die folgende Zeile, Noch fühle ich einen Trieb dieses Werk vorzunehmen p. wieder getröstet.

Die Händel zwischen Hr. Br. und F. sind mir recht verdrießlich. Es wäre meines Erachtens doch gut gewesen, wenn Hr. Br. ein verachtendes Stillschw. gegen seinen unartigen Gegner beobachtet hätte.

Ungeachtet Schmidt Klopst. Freünd hier ist, so hört man doch von dem Dichter nicht das geringste. Hören Sie auch von Rahnen nicht mehr?

Empfehlen Sie mich Hr. Breit. Heß und Schultheiß. Ich verharre mit zärtlicher Ergebenheit

Meines werthesten Hrn. und Fr.
ergebenster Sulzer

den 25 Dec. 51.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »beantwortet den 7ten Januar 1752 durch die Post und ein Brief an Hagedorn eingeschloßen.«

Stellenkommentar

ein Haus neü anzulegen
Die Bauarbeiten zogen sich noch einige Zeit hin. An Gleim schrieb Ramler am 20. Juni 1752: »Man trift unsern Sulzer jetzt niemals in vier Wänden an, er läßt sich beständig mit seinen Steinmetzen und Zimmerleuten von der Sonne braten und auf seinen Winck rollen Karren und stäuben Wagen um ihn herum; er pflantzt Tannen für die Nachwelt, und Cichorienwurtzeln für seine Gäste.« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 1, S. 352).
des Twiddle dum
Tweedle Dum. Auf John Byrom zurückgehendes Epigramm, das Jonathan Swift auf die Feindschaft zwischen den Komponisten Georg Friedrich Händel und Giovanni Bononcini anwendete: »Strange all this difference should bee/ Twixt Tweedle-dum and Tweedle-dee.« Sulzers Anspielung zielt auf Bodmers Beitrag Palämon an Crito (Crito, St. 2, S. 57), wo sich dieser mit einer deutschen, auf Gottsched und Scheyb gemünzten Fassung des Epigramms »Die Freundschaft hat kein gleicher zwey,/ Als Dudeldum und Dudeldey« lustig macht.
Sächsischen Herman
Christoph Otto von Schönaichs Heldengedicht Hermann oder das befreyte Deutschland, 1751, das Gottsched förderte und herausgab.
den Nimrod
C. N. Naumann, Nimrod ein Heldengedicht, 1752.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann