Brief vom 31. Januar 1752, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 31. Januar 1752

Mein Herr und werthester Freünd.

Ich hatte mir vorgesezt Ihnen auf heüte recht ausführlich zuschreiben, aber ich habe eine recht glükliche abhaltung, da meine liebe Wilhelmine vorgestern mich zum Vater eines recht artigen kleinen Mädchens gemacht hat. Was für eine Menge neüer und angenehmer Empfindungen haben sich nicht seit dieser geseegneten Stunde bey mir eingefunden? Mich dünkt, daß ich jezo ein ganz andrer bin, als der ich vor wenigen Tagen gewesen.

Eile o Tochter mit wachsen, o wachse zum reifern Leben
Und wachse vornehmlich zum edlern Leben der Tugend.
Eile zum wachsen noch den einst zu sehen, der deines Vaters
werthester ist.

Ich denke nun schon, wie angenehme Scenen die seyn werden, wenn ich künftig diesem zarten Gemüth die Schönheiten im Noah, Jacob und Joseph entwikeln werde. Ich hatte ein ungemeines Vergnügen zu vernehmen, daß Noah unter der Preße ist, wie wol ich wünschte, daß es eine andre, als Geßners seine wäre. Denn ich förchte Noah möchte länger unter der Preße seüfzen, als er in der Arche geseüfzet hat.

Vielleicht wollen Sie ihrem Gedicht die seltene Eigenschafft geben, daß es länger unter der Hand des Drukers als des Verfaßers gewesen. Ich warte mit großem Verlangen auf die abgedrukte Bogen. Meine Frau sagt, wenn ich es nicht zu dreiste finde so soll ich für Sie, zum Kindbett Geschenk den Joseph und Zuleika von Ihnen ausbitten.

Ich halte es für was großes, daß ein Mensch von 20 Jahren Verfaßer des Gedichts von der Natur der Dinge ist. Ich glaubte darin Spuhren eines schon gesezten Geistes anzutreffen. Dieses läßt mich ungemein vieles von dem Herman hoffen. Ich glaube, daß es nicht ohne Vortheil seyn wird, wenn der Verfaßer das incognito so lange, als möglich ist behält. Ich bitte ihn von mir zu grüßen, wenn mein Nahme bis zu seinen ohren gekommen ist. Wäre es nicht möglich etwas weniges vom Herman zusehen?

Der Verfaßer vom neüsten aus dem Reich des Wizes Heißt Leßing und ist hier Zeitungsschreiber. Ich sollte doch denken, daß er weit mehr ist, als Naumann. Ich muß meiner Begierde Ihnen mehr zuschreiben als mir die Zeit erlaubt Einhalt thun. Ich verbleibe von ganzem Herzen

Ihr ergebenster Fr. und Dr.
Sulzer

Berl. den 31 Jan. 52.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Rückseite der Umschlagseite: »Triller: Gottsched was sagen sie von dem Messias? Gottsched, indem er die hände überm Kopf zusammenschlägt: Jesu Maria! Triller: Und denn, was denken sie vom Noah? Gottsched: oha! Triller: Behüte Gott mir die Hermannias! Die Schwarzias, und die Theresias! Gottsched: den Prinzenraub und den Wurmsamen! Triller: Ja! Amen.« – Weiterer Vermerk Bodmers: »beantwortet den 16. febr. zugleich ein briefchen an H Heß eingeschlossen.«

zum Vater eines recht artigen kleinen Mädchens
Sulzers Tochter Henriette Wilhelmina war am 27. Januar 1752 geboren worden. Sie verstarb am 11. April 1754.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann