Brief vom 26. Februar 1765, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 26. Februar 1765

den 26 febr.

Mein theürester Freünd.

Die Sache mit unserm Wegelin ist nun in Richtigkeit. Es freüt mich sehr diesen braven Man zum Collegen zu haben. Wenn Sie unter ihren jungen Leüthen einen haben, der gute philosophische Studia mit einer gewißen Stärke in der Lat. Sprache verbindet und Lust hätte an dem Gymnasio an dem ich ehedem gewesen Prof. Philosophiæ zu werden, so könnte ich ihm vielleicht dazu helffen. Aber die Besoldung ist nur 400 Rthlr..

Die Nachrichten, die Sie mir von ihrem politischen und geistlichen Staat geben, schlagen stark in die Gedanken ein die mich seit der Zeit beschäftigen, da ich die Lettres écrites de la Montagne gelesen habe. Obgleich Rousseau nur den Conseil de Geneve an den Pranger gestellt hat, aber ich sehe noch mehr Kleine und Große Räthe neben ihnen auf diesem Ehren Posten stehen. So viel ihrer dieses Buch verwerffen, stellen sich neben jenen hin. Die von Schwyz und von Zug, welche man so sehr verachtet werden sich wol vor dieser Schmach hüten. Ist nicht die Furcht der Regenten in ihrem Verfahren näher Beleüchtet zu werden, ihre Eyfersucht gegen alle die ihnen Einschläge geben wollen ein unzweifelhaftes Merkmal, von unlautern Absichten? Ich halte noch über dem eine Republik schon halb für verlohren, wenn ich sehe, daß man darin so sehr nach Ehrenstellen trachtet.

Ich fühle daß es ein vergeblicher Wunsch wäre, mehrere Cantone in die Fußstapfen derer von Schwyz, wie wol mit beßerer Vorsicht, zu treten. Der Republicanische Geist liegt in den lezten Zügen, wenn er ja noch etwas athmet. Wenn wir selbst große Herren, oder doch großer Herrn gute Freünde seyn wollen, so ist es aus mit uns. Dein Glüke wird so lang, als deine Einfalt währen, sollte der Wahlspruch aller unsrer Republiken seyn; sie scheinen aber gerade das Gegentheil zum Grundsaz angenommen zu haben.

Ihr Kirchen Staat scheinet mit dem politischen parallel fortzugehen. Einerley Maximen und einerley böse Symptomen. Bald muß man erwarten, daß dieser mit dem hohen Priester in Rom, wie jener mit dem großen König in Freündschaft tritt um Licht von seinen Strahlen zu borgen. Es komt mir bisweilen comisch vor, wenn ich bedenke wie ängstlich die einen ihre Autorität und die andern ihren Glauben vor der nähern Untersuchung in Sicherheit zustellen suchen. Daß auch unser Chorherr sich zum großen Hauffen schlägt, schreibe ich nicht dem Menschen sondern dem Orden zu.

Ich habe doch allezeit gefürchtet, daß der ehrliche Lavater sich zu weit wagen werde. Man ist noch gar zu weit von dem Zeitpunkt entfernt, worin das wahre und gute die Oberhand behalten wird. Es sollte mich sehr schmerzen, wenn sie auch nur den geringsten Grad von dem Schiksal des ehrlichen Sokrates haben sollten. Trauen Sie nur ihren Zeiten noch nicht zu viel. Mich dünkt, daß das, was man vor 2 Jahren aus Noth hat thun müßen, noch lange Böse Gesinnungen unterhalten werde. Manet alta mente repostum.

Was für Schändung alles Wahren und Guten, daß Voltaires Dictionaire und die Lettres de la Montagne [→]in einem Edict zugleich verdamt worden! Wer es fühlt, daß jener ein Nichtswürdiger Bube ist, der sollte Kraft dieses Gefühls dem Rousseau Ehren Säulen sezen. Aber es scheinet, daß es Leüthe gebe, die sich einbilden können, daß in der Wage beyde Schaalen zugleich in die Höhe gehen können. Ihr Gespräch zwischen Tiber. und Cl. Tacitus möchte ich sehr gerne sehen. Es käme izt zur Rechten Zeit. Aber nehmen Sie sich damit in Acht. Den M. Brutus kann ich Ihnen nicht schiken, weil Gellius ihn in ihrem Namen von mir gefodert und auch schon bekommen hat. Er schreibt mir, daß er ihn herausgeben und mit dem Verf. der Bibliothek in der Vorrede ein Wörtgen reden will.

Von Füßli bekomme ich weder Briefe noch Zeichnungen. Vor kurzem hat er mir durch Hrn. Mitchell sagen laßen, daß er mir bald schreiben werde. Er selbst hat mir keine Rechnungen zugeschikt, sondern der Buchhändler Millar der ihn in Pension gebracht hat, wo er alle Woche 1 Guinée bezahlt. Das für ihn gesammelte Geld hat nicht länger, als bis in May des verwiechenen Jahres gedauert, ich habe alles bis auf den October richtig gemacht, aber ich weiß nicht, wie es mit dem übrigen gehen wird. Aber behalten Sie diese Nachricht für sich.

NB. Sagen Sie doch dem Hrn. Lavater, daß des Pr. Geßners Münz Werk, welches ich durch ihn bestellt hatte, durch einen andern Canal schon angekommen, so daß er seine Bestellung wieder absagen muß, sonst bleibt das Werk mir auf dem Halse.

Bis izt bin ich nicht im Stande gewesen der Jfr. Meisterin eine Freündin nach ihrem Naturell zu schaffen. Doch scheinet sie sich allmählig in ihre Umstände zu schiken, und es ist um ein paar Jahre zu thun, so kann sie schon ziemlich Gesellschaft an meinen Kindern haben. Die Ältere scheinet vorzüglich viel freündschaftliche Gesinnungen für sie zu haben.

Lambert hat sich doch etwas bedacht, ehe er die ihn angebothene Pension von 500 Rthlr. bey der Academie angenommen hat; die Summe ist für seine Wißenschaft gering, aber für die Meinung, die der, welcher sie giebet, von ihm hat, groß. Man hat alle Mühe von der Welt gehabt, die Sache noch so weit zu bringen. Doch hoffe ich, daß man ihm künftig wird eine Verbeßerung verschaffen können. Izt scheinet er wol zufrieden zu seyn. Mich dünkt, daß überhaupt Berlin nach und nach ein Sammelplaz von rechtschaffenen Männern in der Gelehrsamkeit wird, und die Art wie der König sie belohnt, geht noch über das, was Louis XIV gethan. Denn wenn wir nach Livres rechnen wollen, so sind unser viele die von 2000 bis 7000 Livres jährliche Gehalte haben. Aber wenn nicht die eingebohrnen des Landes selbst eyfriger auf die Betreibung der Wißenschaften fallen, so wird doch bey allen diesen Guten Anstallten nichts rechtes herauskommen.

Der König hat für seine neüe Ritter Academie ein fürtreffliches Reglement gemacht, und die Vorschriften, die dieser gekrönte Philosoph den Profeßoren selbst gemacht hat, scheinen mir beynahe unverbeßerlich. Mein departement ist die Philosophie, und wenn ich gerade nach meinem Wunsch und nach meinen Einsichten, meine Lehrstunden einrichte, so kommt gerade der Plan des Königs heraus. Ich weiß gewiß, daß Wegelin eben so gut mit dem seinigen wird zufrieden seyn.

Ich umarme Sie von ganzem Herzen.

JGSulzer.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Anschrift

Herrn Profeßor Bodmer in Zürich 12 frcò Nrnberg

Vermerke und Zusätze

Siegelausriss. – Siegelreste.

Eigenhändige Korrekturen

Eyfersucht gegen alle
Eyfersucht auf gegen alle
Edict zugleich verdamt
Edict ⌈zugleich⌉ verdamt
Mühe von der Welt gehabt
Mühe von der Welt d gehabt

Stellenkommentar

Gymnasio an dem ich ehedem gewesen
Das Königlich Joachimsthalsche Gymnasium, in dem Sulzer bis 1763 unterrichtet hatte. Vgl. Kommentar zu den Briefen letter-sb-1762-05-30.html und letter-sb-1763-08-26.html.
von Schwyz und von Zug
Zu den politischen Händeln auf den Landsgemeinden der Kantone Schwyz und Zug siehe die Briefe letter-bs-1764-01-21.html, letter-bs-1764-04-17.html und letter-bs-1765-02-13.html.
Dein Glüke wird so lang, als deine Einfalt währen
A. von Haller, Versuch Schweizerischer Gedichten, 1732, S. 3. Bezeichnenderweise griff Sulzer hier auf einen Vers des Lehrgedichts Die Alpen zurück, der nur in der ersten (1732) und zweiten (1734) Auflage der Gedichte in dieser Form erschien.
Manet alta mente repostum
Verg. Aen. 1, 26. Übers.: »[Es] blieben tief im Gedächtnis [...]« (Vergil, Aeneis, 2015, S. 44). Der lateinische Satz bezieht sich auf eine nicht überwundene Kränkung. Sulzer wendet diesen Gedanken hier auf die Grebel-Affäre an.
in einem Edict
Nicht ermittelt. Vgl. Brief letter-bs-1765-02-13.html.
M. Brutus
J. J. Bodmer, Marcus Brutus, 1768. Zur komplexen Publikationsgeschichte des Dramas sowie zur Beteiligung der Leipziger J. G. Gellius und P. E. Reich vgl. die Briefe letter-bs-1761-11-00.html und letter-sb-1763-11-16.html.
dem Verf. der Bibliothek
Friedrich Nicolai, Herausgeber sowohl der Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste (bis 1765) als auch der ab 1765 erschienenen Allgemeinen deutschen Bibliothek, eines der größten und bedeutsamsten deutschsprachigen Rezensionsorgane.
durch Hrn. Mitchell
Nicht ermittelt.
Pr. Geßners Münz Werk
Johann Jakob Gessner, Zürcher Theologe, 1740 Professor für Hebräisch am Carolinum und 1754 für Bibelexegese, war in seiner Zeit einer der berühmtesten Numismatiker und trat zudem als Archäologe in Erscheinung. Gessner arbeitete über Jahre an dem mehrbändigen numismatischen Sammelwerk Thesaurus Numismatum. Vgl. zu ihm auch Thüry Ein Pionier der antiken Numismatik 1987. – Brief letter-bs-1759-12-20.html. Sulzers Brief an Lavater, in dem er ihn um Gessners Werk bat, wurde nicht ermittelt.
ein fürtreffliches Reglement
Die erste Satzung der neuen Königlichen Ritterakademie stammte von Friedrich II. und wurde unter dem Titel Instruction pour la Direction de l'Académie des Nobles à Berlin nur wenigen Personen im Umkreis des Hofes bekannt gegeben. Sie ist abgedr. in: G. Friedlaender, Die Königliche Allgemeine Kriegs-Schule, 1854, S. 48–54.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann