Magdeburg den 30 März.
Mein theürer Freünd.
Die günstige Veränderungen der öffentlichen Angelegenheiten, die uns einige Hofnung zum allgemeinen Frieden geben, halten mich gegenwärtig noch zurüke, mein Vaterland und meine Freünde wieder zusehen. Es ist mir sehr wichtig bey der ersten Ruhe, die ein allgemeiner Friede uns geben wird, nicht abwesend zu seyn. Ich muß das Verlangen meines Herzens der Hofnung künftiger Vortheile aufopfern. Indeßen habe ich mich für ein paar Jahre von meinen Amtsverrichtungen los gemacht. Seit sechs wochen lebe ich hier; in dem Garten, der Ihnen durch meine ehemalige Klage bekannt ist, in einer mir sehr angenehmen Ruhe, die ich nicht ohne guten Erfolg zur Ausarbeitung meines Wörterbuches anwende. Ich hatte mir die schmeichelhafte Vorstellung gemacht, diese Arbeit unter ihren Augen und durch ihren Beystand zu vollenden. Denn nur auf diese Weise, könnte ich sie am besten verrichten. Allein ich muß mich in die Zeit schiken, und abwarten, ob noch zulezt, ein günstiges Schiksal, mir erlauben wird, Ihnen dem besten Richter und Helffer, alles vorzulegen, ehe ich es dem Urtheil der Welt ausseze. Einige Nebenstunden habe ich ihrem Brutus gewiedmet, da Sie es mir erlaubt haben. Ich hoffe, daß ich nichts darin verderbe; meine Zusäze werden, so viel ich sehen kann, weder den Charakteren der Handelnden Personen, noch dem Eindruk des Ganzen schaden. Und die Verändrungen einiger Ausdrüke und Wendungen, werden das Stük der Sprache und der Mode, die man in Nebensachen immer bey behalten kann, angemeßener machen. Ihrem beßern Noah habe ich vergeblich entgegen gesehen. Ich tröste mich aber damit, daß ich ihn vielleicht desto eher unter der Preße hervor bekommen werde. Meiner Vermuthung nach, würde er jezo zu einer ziemlich gelegenen Zeit kommen, da der Geschmak sich hier und da wieder erholt, und viele, die sich an Kleinigkeiten gesättigt haben, nach etwas beßerm Verlangen. Wie wol noch Leüte genug sind, die den Homer, Sophokles und den Horaz mit den neüern die sich nach jenen gebildet haben, im Bücherschrank stehen laßen, da sie die Franzosen und die Schriften aus der Nicolaischen Schule auf ihren Tischen liegen haben. Geßner findet allgemeinen Beyfall, und bey so geringer Kenntnis des Vollkommenen, übersieht man seine Fehler gegen die wahre Vollkommenheit der Kunst, die er gewiß würde erreicht haben, wenn das Studium der Natur zu Hülffe gekommen wäre. Je weiter ich in meinen Untersuchungen, und Beurtheilungen aller Werke des Geschmaks komme, je mehr werde ich überzeüget, daß durch bloßen Trieb des Genies kein Werk des Geschmaks vollkommen wird.
Die Stellen in Wielands Vorrede zu der Samlung seiner Schriften, auf die ich am meisten aufmerksam gewesen bin, haben mich ziemlich befriediget. Ich wünschte aber, daß er in demselben Ton, womit er von seinen Gegnern spricht, sich etwas weitläuftiger eingelaßen hätte. Was wird denn aus seinem Herman werden?
Doktor Hirzels Kleinjogg hat mir über die Maaße wol gefallen. Der Titel des Sokratischen Bauers kommt diesem Man vollkommen zu, und ich wünsche sehr, daß der Doktor fortfahre ihn zu beobachten und ganz sein Xenophon werde. In Leipzig hat Weise Amazonen Lieder herausgegeben, die ich weit über Gleims Kriegeslieder seze. Es ist unbegreifflich, wie der Kopf, aus dem diese Lieder gekommen, in andern Dingen ofte so schlecht urtheilt und so schlecht schreibt. [→]Dieser ist es, der die Nachrichten und Urtheile über die deütsche Literatur nach Paris schikt, der so ein elendes Werk gemacht hat, als die Poeten nach der Mode sind.
Mit der Ausgabe der Karschischen Gedichte haben wir noch etwas inhalten müßen. Ich schike Ihnen hier die zweyte Anzeige und erwarte die Bestimmung der Anzal Exemplare, die Sie verlangen. Gleim hat diese Dichterin durch überhäufte und zu sehr übertriebene Lobsprüche verdorben. Sie ist so empfindlich über die Critik geworden, daß sie durch die Vorstellung weniger bewundert zu werden, selten mehr in das rechte Feüer kommt. [→]An dem Bruder des Prinzen von Preußen, werden die deütschen Musen künftig einen großen Beschüzer finden. Er liest das Beste mit Geschmak und großer Begierde, und hat mehr deütsche, als französische Bücher um sich herum liegen. Sein älterer Bruder, der nun zu Felde gegangen ist, giebt Hoffnungen, die man nicht ohne Rührung überdenken kann.
Aber was sagen Sie, und was sagt ihr Philokles zu der großen Erscheinung in der politischen Welt, zu Peter dem III? Wer hat beßer den Enthusiasmus des Philokles gerechtfertiget, als dieser? Wer hat Friedrichs große Neider und Verläumder mehr beschämt als er. Seine Hochachtung und Freündschaft für den König ist ganz außerordentlich. Er, selbst ein Heermeister viel großer Ritter, wollte nicht nur den Gelben Band des Preüßischen Ritterordens, als eine schazbare Zierde tragen, sondern so gar Friedrichs Soldate seyn. Er hat sich vom König ein Regiment Fußvolk ausgebeten, deßen Obrister er seyn will. Gestern wurd der geschlossene Friede dem Volke öffentlich kund gemacht. Ich hatte das Vergnügen an der Seite des jungen Prinzen Heinrichs, von deßen Palais die Abkündigung geschah, der Abkündigung beyzuwohnen und die lebhafteste Freüde eines ganzen Volks anzusehen. Man ist noch nicht ohne Hofnung, daß auch unsre übrigen Feinde sich zum Ziel legen werden. Schweden hat schon seinen Frieden gemacht, und die andern werden gegen uns und Rußland zu streiten haben, wenn sie sich länger weigern. Der König hat eine Große Macht seiner eigenen und rußischer Völker im Felde, und iezt nur noch gegen einen, oder nicht viel mehr, als einen zu streiten.
Der Hof wird bald wieder nach Berlin gehen, und alsdenn werde ich noch einsamer hier seyn, folglich noch mit mehr Fleiß arbeiten können. Es hat sich hier eine Gesellschaft junger Leüte zusammen gethan, welche sich im Geschmak üben. Sie sind aber noch etwas schwach und können sich keine Größere Kenner, als Ramler und Nicolai vorstellen. Einige waren neülich in meinem Garten versammelt und stuzten, da ich Ihnen sagte, daß ich diese Kunstrichter noch lange nicht für groß genug halte um Geseze zu geben. Ich stellte Ihnen vor, daß sie die Kenntnis des vollkommenen nicht an den Werken der deütschen lernen müßten. Denn dieser Maasstab sey gar zu klein. Ich rieth Ihnen das fleißige Studium der Alten, mit den ernsthaftesten Untersuchungen der Weltweisheit und andrer Wißenschaften zu verbinden. Ich warff es Ihnen, als etwas ungereimtes vor, daß sie Bodmer und Breitinger nur dem Namen nach und durch die Nachrichten der deütschen Monatschriften kennten.
Leben Sie wol mein theürer Freünd, und schreiben Sie mir nur nach Magdeburg, bis ich Ihnen von Verändrung meines Aufenthalts Nachricht geben werde.
Ich umarme Sie von Herzen. S.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 337–340 (Auszug).
Falsche Monatsangabe Sulzers. Noch am 16. Februar und am 20. März 1762 schrieb Sulzer an Gleim aus Berlin (GhH, Hs. A 4154–4155), erst Anfang Mai aus Magdeburg (ebd. Hs. A 4156). Vgl. auch Bodmers Anmerkung »lego may« sowie einen Brief Anna Louisa Karschs aus Magdeburg an Gleim vom 7. Mai 1762, in dem sie schreibt, dass sie »den Garten besuchen [will] wo unser Freund wohnt«. (Nörtemann (Hrsg.) Mein Bruder in Apoll 1996, Bd. 1, S. 102).
Vermerk Bodmers unter dem Datum auf der ersten Seite: »lego may.« (Übers. »ich lese Mai«). – Vermerk Bodmers auf der ersten Seite unter Sulzer Frage »Was wird denn aus seinem Herman werden?«: »lego: Cyrus« (Übers.: »ich lese: Cyrus«). – Vermerk Bodmers am unteren Rand der letzten Seite: »accepi d. 15 Jun. 1762 non vidatur accepisse meam Epistolam d. 13. marty scriptam.« (Übers.: »empfangen den 15. Juni 1762 – es scheint als habe er meinen Brief vom 13. März nicht empfangen«).