Brief vom 7. Dezember 1762, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Datum: 7. Dezember 1762

Winterth. den 7 Dec.

Ich habe mir den Theil des Mercure Suisse geben laßen, deßen Sie erwähnten und die Zurechtweisung an den Verfaßer des Journal Etranger mit Vergnügen gelesen. Blos die Schreibart ist schon so, daß die Franzosen daraus abnehmen können, der Brief sey von einem Connoisseur. Ich stelle mir vor, daß er schon im Ton dem von der Gegenpart weit muß überlegen seye. Doch wünschte ich, daß man sich etwas mehr in Acht genommen hätte den andern Gelegenheit zur Beschuldigung der Partheylichkeit zu geben. Sie werden sagen, Man habe Leßings Verdienste um die Schaubühne mit Stillschweigen übergangen, doch ist dieses auch alles, was sie sagen können. Wielands Parthey ist gut geführt; ihre eigene etwas zu bescheiden. Wenn nur die Pariser diese Schrift auch zu Gesichte bekommen. Ich habe bey dieser Gelegenheit den Wunsch erneüert, daß Sie jemanden von ihren geschikten jungen Leüten in Stand sezten die Geschichte der deütschen Dichtkunst seit den lezten 30 oder 40 Jahren zu schreiben. Ein reiner Historischer Vortrag, würde in einem solchen Werk die beste Dienste thun.

Wir haben die Schrift gegen den Landvogt Grebel hier nicht gesehen, aber doch das wesentliche daraus anführen gehört. Die Sache scheinet mir für den Verstand und den Willen ihrer Haupter zu groß, als daß sie dieselbe ohne merkliche Fehler zu begehen in Richtigkeit bringen konnten. Sie werden den besten Ausweg schweerlich treffen. Unterlaßen Sie doch nicht mir zu melden, was darin vorgeht. Könnte man nicht auf dem Lande die beleidigten bereden öffentlich zu werke zu gehen. Ohne Zweifel fände sich unter ihren Patrioten ein Cicero gegen diesen Verres, und dies schien mir eine gute Gelegenheit ihren Staatskörper in die Crisis zu sezen, der zu seiner Gesundheit ausschlagen könnte.

Was werden nun die strengen Richter der Könige über den Großen querelleur und Rauffer sagen, da er im Reich herum zieht seine Feinde einen nach dem andern zu züchtigen. Ist es nicht gottlos, den schon so zu bösen Krieg noch über den verschonten Theil des Reichs auszubreiten? Ich glaube bald, daß auch in unsrer Nachbarschaft Lermen entstehen wird, und will nicht gut dafür seyn, daß unsre Husaren nicht bis an den Rhein heranstreiffen werden. Wird man denn nicht seine Macht aufbiethen müßen, die Gränzen zu beschüzen? Es ist Schade, daß Preüßen in allen Absichten zu weit von uns entfernt ist, sonst wäre es wol möglich etwas zu veranstallten, das dem Ansuchen des franz. Hofes das Gleichgewicht hielte. Aber das schlimste dabey ist, daß wir Protestanten dahin gehen müßen, oder daß wir glauben wir müßen dahin gehen, wohin uns die Catholischen indirekte leiten. Man ist hier über das Wülfl. Geschäft beruhigt, und ich hoffe man werde einmal lernen etwas gelaßen zu seyn und nicht zu schreyen, bis man Schmerzen fühlet.

Ich freüe mich über ihren Eyfer bey Bearbeitung der Noachide. Sie können für ihren Ruhm und für den Nuzen der lesenden Welt nichts beßeres thun. Ich denke immer, daß ich mit meinen Anmerkungen darüber noch immer frühe genug kommen werde. Das beste ist vielleicht, daß ich Sie Ihnen selbst vorlese. Ich fange an wieder auf eine Züricher Reise zu denken. Sie wißen, daß ich keine wichtigere Absicht haben kann, als Sie und den Hrn. Can. Breitinger zu sehen. Also will ich von Ihnen vernehmen, ob etwa binnen 6 oder 8 Wochen irgend 14 Tage sind, die Ihnen bequähmer hier zu scheinen, als andre. Ich hätte am meisten Lust bald nach dem Neüen Jahr Ihnen meinen Besuch zu machen. Ich fange an zu fürchten, daß ich mich gar zu sehr an meinen hiesigen Aufenthalt gewöhne. Es ist mir schon iezo verdrießlich nur auf wenige Stunden meine Zelle zu verlaßen. Noch gehe ich alle Tage spazieren, und erst diesen Morgen bin ich mit unserm Hrn. Schultheiß zwey Stunden lang im Wald herum gestriechen.

Bachman schreibt mir aus Magdeburg, daß er endlich den Gleim wegen der Ausgab der Karschischen Gedichte in Thätigkeit gesezt habe. Sie haben mir nicht gesagt, wie Sie ihre prosa gefunden haben. Soll ich ihr Stillschweigen für ein Urtheil annehmen? Für wen halten Sie den Brutus der in dem ungerechten Landvogt ausgefodert wird? Es wär doch eine artige oder vielmehr wichtige Erscheinung, wenn der Verfaßer sich entdekte. Aber noch wichtiger wenn eine Comißion auf die Landschaft geschikt würde Klagen aufzunehmen, dieses aber thät ein LandesVater ohne einen förmlichen Ankläger.

Ich umarme Sie von Herzen.
Sulzer.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

Herrn Profeßor Bodmer in Zürich

Vermerke und Zusätze

Siegelreste. – Blatt an Siegelstelle abgeschnitten.

Eigenhändige Korrekturen

dahin gehen müßen
dahin müßen gehen müßen
nur auf wenige
nur ⌈auf⌉ wenige

Stellenkommentar

ein Cicero gegen diesen Verres
Anspielung auf Ciceros Orationes in Verrem.
den Großen querelleur und Rauffer
Ludwig XV. Vgl. dazu Brief letter-bs-1762-12-04.html.
Bachman schreibt mir
Nicht ermittelt. Vgl. den Kommentar zu Brief letter-sb-1762-11-06.html.
den Brutus
Lavater setzte seiner Anklage ein Zitat aus dem Leben Brutus' von Plutarch voran: »Du Brutus! und du schläfst? ach wann du lebtest.« ([J. C. Lavater], Der ungerechte Landvogd, 1762, S. 1v).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann