Brief vom 3. November 1750, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 3. November 1750

Mein werthester Hr. und Freünd.

Es ist mir beynahe unerträglich so lange keine Briefe von Ihnen zu bekommen da Sie mir doch versprochen hatten, ofte zu schreiben. Durch Hrn. Kitt hatte ich unfehlbar ein großes Paket, und beynahe auch die versprochene Abschrifft des Noah erwartet, ohne das geringste zu empfangen. Ich habe Ihnen aus Magdeburg einmal geschrieben, und, wo ich nicht irre einmal von hier aus, nach meiner Zurükkunfft. Ich habe ein ungemeines Verlangen recht zu erfahren, was Klopstok macht. Er hat an einen seiner Freünde was geschrieben, woraus ich schließe, daß Sie ganz mit ihm zerfallen sind. Er sucht, wie natürlich alle Schuld von sich abzulehnen. Dieses aber betrübt mich, wenn ich so zusehen soll, daß Ihnen was beygemeßen wird, das Sie so wenig verdienen. Schreiben Sie mir nur so viel, wodurch ich Sie rechtfertigen kann. Denn es ist unmöglich, daß Sie die Schuld dieser Trennung haben können. Nach dem Noah verlangt mich beynahe so sehr, wie nach meiner Braut. Diese wird, wenn nichts anders dazwischen kömmt noch dies Jahr meine Frau seyn. Der 16 December ist dazu bestimmt uns zu vereinigen.

Sie werden schon wißen, daß Voltaire nun für immer hier ist, daß Arnaud mit ihm zerfallen, und daß dieser leztere beynahe von Jederman verachtet wird.

Vor 8 Tagen hat die hiesige Academie mir die Ehre gethan mich zum Membro ordinario zu machen.

Dies sind ohngefehr alle Neüigkeiten, die ich Ihnen diesmal zu sagen habe. Ich wollte eigentlich nichts schreiben, als Sie blos bitten und beschweeren, mir bald einen langen Brief zu schreiben und die Copie des Noah zu schiken. Empfehlen Sie mich dem Hrn. Breitinger und Heßen von Altstätten. Ich verbleibe mit zärtlicher Hochachtung

Ihr
ergebenster Dr.
Sulzer

Berl. den 3 Novemb. 1750.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen I 1807, S. 351 (Auszug).

Anschrift

Herrn Profeßor Bodmer in Zürich

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »Hist. de Joseph par Mad. Rowe./ Voltär die franz. Übersetz. der Mess. zeigen./ Fortsezung der critischen Nachrichten, 26 und folgende./ habe Hn prof. den 27 Jan: 1751 gesandt: Noah VI–XIII. ges. zugabe zum II. Ges. der ersten Auflage Exordium und provocatio./ Syndflut. Ist wegen schweere nicht mit gepakt worden./ Bogen A.B.C. von J. und J./ Brief für Hagedorn./ von den Auszügen aus K. briefen nichts./ den 14 febr. 1751 durch Klops. Sulzern gesandt:/ Syndflut./ Bogen D.E.F. von J. und J./ Zusätze zu den ersten und letzten gesängen. ohne brief./ H. Klopstok habe gegeben bogen A – F inclus./ den 17 Febr. schrieb ich Hn Sulzer durch die post.« – Vermerk von (Direktor) Hans Kaspar Schulthess auf der Umschlagseite: »Ich schreibe dato sust Berlin. Belieben Mhhn Prof. meinen Beyschluß zu übersenden, sollte ordentlich besorgt werden. Zurich 15 9bre 1750. Dir: Schultheß.«

Stellenkommentar

von hier aus
Nach seiner Rückkehr nach Berlin verfassten Schreiben Sulzers nicht ermittelt und nicht erschlossen.
einen seiner Freünde was geschrieben
Klopstocks Brief an Gleim vom 8. Oktober 1750 (Klopstock Briefe 1979, Bd. 1, S. 139 f.). Das Zerwürfnis zwischen Bodmer und Klopstock war selbstverständlich Thema in den Berliner und Halberstädter Freundeskreisen. Sulzers Parteinahme für Bodmer und gegen Klopstock stieß hier jedoch auf Unverständnis, wie ein Schreiben Gleims an Ramler vom 18. Dezember 1750 zeigt: »Indeß scheint es zwischen Bodmern und Klopstock schon sehr weit gekommen zu seyn. Denn Sulzer läßt mir mercken, daß es wohl noch zu öffentlichen Anklagen kommen könte. Thun sie doch was ihnen möglich ist, das zu hintertreiben? Wie ist es doch möglich, daß so vernünftige Leute so weit mit einander zerfallen können? Solten große Leute sich nicht auch in der Großmuth es zuvor zu thun suchen? Was für ein Aergerniß würde es geben, wenn zween Leute, die sich einander mit Lob fast vergöttert haben, mit Schimpf einander zu der niedrigsten Art Menschen, herunter zu bringen, sich bestrebten? Was für ein Schauspiel würden sie der Welt seyn? Ich habe sie schon einmahl ersucht, Herrn Sulzern auf gelindere Gedancken von Klopstock zu bringen! Mich dünckt in der That, er gehe zu weit, solte es auch alles gegründet seyn, was er ihm zur Last legen mag. Ich weiß aber schon Exempel von ihm, daß er auch zu hitzig gewesen ist, und es ihm nachher gereut hat. Wie viel andächtige Leser des Meßias würden aufhören es zu seyn, wenn sie so nachtheilige Urtheile von dem Verfaßer hörten.« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 1, S. 277).
16 December ist dazu bestimmt
Die Hochzeit fand schließlich am 17. Dezember statt, wie ein von Sulzers Freund und Verleger Philipp Erasmus Reich verfasstes Gedicht mit dem Titel Bey dem Sulzer und Keusenhofischen Hochzeitsfeste welches in Magdeburg dem 17. Decembr. 1750 hoch vergnügt vollzogen wurde, stattete seinen ergebensten Dank ab. R. (ZB, Ms Bodmer 41.44) dokumentiert.
daß Voltaire nun für immer hier ist
Voltaire war im Sommer 1750 der langjährigen Einladung Friedrichs II. nach Potsdam bzw. nach Sanssouci gefolgt. Zu Voltaire und Friedrich II. vgl. Kunisch Friedrich der Große 2012, S. 93–98.
daß Arnaud mit ihm zerfallen
D'Arnaud hatte ursprünglich das Vertrauen Friedrichs II. und war von der Akademie als des Königs Ovid bezeichnet worden. Das brachte ihm die Eifersucht Voltaires ein, der kurz nach seiner Ankunft den König gegen d'Arnaud einnahm. Voltaire verfasste bissige Spottgedichte auf d'Arnaud, der schließlich auf Voltaires Betreiben hin 1751 den preußischen Hof verlassen mußte.
hiesige Academie mir die Ehre gethan
Sulzer wurde durch Unterstützung Sacks und Eulers im Oktober 1750 Mitglied der Klasse für spekulative Philosophie der Berliner Akademie, bis zum Tod des Präsidenten Maupertuis im Jahr 1759 allerdings noch ohne Pension. Danach betrug Sulzers Pension jährlich 700 Reichstaler, ab 1775, als er Direktor der Philosophischen Klasse wurde, 900 Reichstaler (GStA I HA, Rep. 60, 24).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann