Brief 12. – 14. November 1749, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 12. – 14. November 1749

12 Nov. 1749

Mein werthester Herr.

Ich habe eine grosse hoffnung zu den Erinnerungen über den Noah, die Hr. Schuldheiß mir von ihnen versprochen hat. Sie müssen sehr wichtig seyn, es müssen nicht nur Beurtheilungen sondern Einfälle zu neuen Erfindungen seyn, womit sie mir forthelfen sollen. Ich hoffe desto mehr von ihnen, wenn sie meinem ⟨Erwarten⟩ kein volles genügen thun, daß ich Ihnen dann eine Recrimination machen könne, wenn sie mir etwa künftig verweisen, ich habe in dem Noah weniger gethan als sie erwartet hätten. Warum erwarten sie viel? Ich verspreche wenig. Ich mache sehr schnelle Arbeit; und denke beym Arbeiten stets, daß ich meinen Lohn währender Arbeit empfange, indem sie mir freude machet. Ich arbeite für mich. Ich hoffe sie werden mich künftig auch von folgenden und hierher laufenden unterrichten: Ob es erlaubt sey, den Cometen von welcher seite des himmels man will, die Erde berühren zu lassen? Ob ich die Zeit, die er gebraucht hat nachdem er zuerst mit dem blossen Auge gesehen worden, bis zur Erde zu kommen selon mon besoin setzen können? Ich will ihnen aber die stellen selbst schiken, die hierher gehören, damit sie sehen, wie ich die sachen vorgestellt, und mir sagen können, wie ich sie bestimmter geben sollte. Der Neue Pigmalion ist noch nicht hier; also weiß ich nur, daß ich Ihnen für ihre bemühung mit ihm Dank schuldig bin, aber nicht wie viel. Ich möchte die leute gern überreden, daß zween verschiedene einander unbewust an dem Gedichte des Noah arbeiten. Klopstok soll nichts davon wissen, weil es mir vornemlich um sein urteil zu thun ist. Die formate der zwey ersten Gesänge u. des III müssen ex composito verschieden seyn. Sie haben mir mit ihrem Nachfragen Anlaß gegeben, der Frau Capit. Henzi zu schreiben, ob ihr braver Mann nicht einige schriften z. E. die tragödie Helvetie delivrée hinterlassen habe. In dem III. Gesange stehen: Dagons præstigia; Er ist der Satane Bundsgenosse, und der Hohepriester des Fati und der Necessitet. Ferner der Besuch der geheiligten u. berühmten Örter des paradieses. Im V. Gesang, die Ankunft des Cometen. Die gemählde im kasten, von einem Engel. Siphas tod. Die flut. Es könnte für meinen Vorwiz nichts angenehmers begegnen, als wenn in der That, in der zeit daß ich an disem Werke arbeite, ein andrer mir unbewust mit eben dem vorhaben beschäftiget wäre. Wolte Gott, daß ⟨nur⟩ irgend einer den Deucalion schriebe, der in meine Materie hineinschlägt. Ich habe einen langen Zusaz zum I. Ges. Siphas Abmahnung, daß seine söhne sich mit den heidnischen schönen nicht verheurathen. Im II. Ges. Laomers Erzählung wie der Despotismus in Chus entstanden, umständlicher ausgeführt. Dagons verführungen weiter ausgeführt. Dann habe ich auch den Eingang und die ⟨Anrufung⟩ ausgearbeitet. Es ist aber nicht nöthig daß dises in die erste Ebauche beygedrukt werde. Der III. Gesang kann in 14 tagen gedrukt seyn. Ich halte ihn so geheim als ich kan, damit ich sagen könne, er sey mir aus Schlesien gesandt worden. Hr. pastor Heß soll am wenigsten davon wissen; denn auch an s. urtheil ist mir gelegen. Er ist Klopst. Liebhaber. Izt muß er den Messias wider die beyden pastores agrestes vertheidigen. Ich hoffe ich sey der gefälligkeit Hn Hofpred: Saken nicht schuldig, daß er am pigmalion geschmak findet. Nichtsdestoweniger bitte m. schönste Empfehlung an Ihn.

Adieu. Ihr ergebenster Freund und Diener
B–r

P. S. Ihren Briefe vom 27 Sept. und 6 Octob. nebst dem päkgen Pigm. und Oden empfieng ich eine stunde nachdem ich obiges geschrieben. Ich habe mir andre Einwürfe von ihnen vermutet, und ihre Einwürfe von andern leuten erwartet. Ich glaube man könne noch wol etwas darauf antworten, wo nicht zur Rettung doch zur verglimpfung: aber ich weiß nicht, ob ich eben darauf antworten soll. Ich bin nicht gesonnen dises werk mit gewalt zu vertheidigen; wenigstens habe ich izo keine zeit dazu übrig. Vielleicht kommen sie noch selbst bald in die gemüthsdisposition für wolgethan anzusehen daß es in der ersten Welt auch Narren, u. nicht bloß bösewichte gegeben hat. Verdient eine Welt voll Narren den Untergang nicht so gut, als eine Welt voll Bösewichte, in den augen des Weisesten. Aber ihre Narrheiten führen überdies zu ungerechtigkeiten. Ich glaube der Richter, welcher der gerechteste aber zugleich der weiseste ist, dürfe es sich so leicht reuen lassen, solche sots erschaffen zu haben. Und wie viel verwandtschaft haben die grösten bosheiten au fond betrachtet mit den grösten thorheiten? Homer hat auch in der Odissee gelachet; und auch ein oder 2 mal in der Ilias; doch ich habe nicht lachen wollen, ihn nachzuahmen, sondern weil es der Charakter meiner personen so mit sich gebracht hat.

Über den zweyten Einwurf: Es ist wahr, alle die gröbsten sottisen u. boßheiten der postdiluvanier sind den antediluvianern zugeschrieben. Vielleicht thut dises desto mehr Eindruk zur bekehrung unserer Menschen; die sich nicht besser sehen, als jene waren. Das Gedicht wird desto wahrscheinlicher, da wir in unsere Historien eben dergl. Exempel von närrischen und Gottlosen Leuten lesen. Und sagt nicht der heiland die Menschen der Ersten Welt haben gelebt, wie die in den letzten vor dem Weltgericht leben werden? Aber gesezt dise nachahmung der spätern Charaktere wäre ein Fehler; denken sie noch ob es möglich sey, Sitten der Antediluvianen zu dichten, welche nicht seit der flut in einer gegend der Welt gefunden werden. Nichts neues ist auch in hoc genere unter der Sonne. Ich will mit disem allen die Erfindung nicht weiß waschen. Sie hat mir vielleicht desto besser gefallen weil ich mich desto weniger ⟨bemühen⟩ müssen, neue Sitten zu erfinden. Ich bin der erste, der wünschte, daß ein andrer dises stük verbesserte. Ich will es das erste mal lieber so behalten, als die Arbeit aufziehen. Es ist ohne diß noch viel in dem Werk zu tadeln, das ich wol erkenne, aber dißmal lieber stehen lasse, als die mühe nehme, es zu ändern.

Für den Pigmalion, den Damon bin ich sehr verpflichtet: Ich muß dise Zeilen verschiken, ehe ich sie ganz lesen kann. Mit Gleim bin ich trefflich zufrieden. Ich figuriere schön in einem trinklied. Ich habe keine solche Abneigung, wie sie, mein Musau in Kupfer stechen zu lassen; da mag der Kupferstecher zusehen. Wenn er gute Arbeit macht, so wird sein Werk dadurch und nicht durch mich berühmt.

Klopstok hat nichts über s. Kräfte unternommen, ich habe mehr sachen von ihm gesehen. Die beyträger scheinen oft heimlich über ihn eifersüchtig. Hn Pastor Heßen lob dünkt mich so überspannt nicht. Sie werden dises einmal selbst gestehen wenn sie sich erholet, und die Messiade Zehnmal gelesen haben. Der Noah ist ein irdisches Spiel dagegen. Hier sind Menschen, dorten Engel und Götter.

Ich verbiete Ihnen, in den zwey Ersten Gesängen etwas auszulöschen, das ihnen mißfällt. Ich publicire den III. Ges. als ein Werk, das durch sich selbst subsistirt, ohne der übrigen zu erwähnen.

Das verlohrne Pak ist durch Hn Schuldheiß beym Dach an einen dasigen Kaufmann eingeschlossen worden, in eine Balle, Hr. Schuldheiß sagte mir er hätte Ihnen den Nahmen dises kaufmannes geschrieben.

Was soll ich ihnen wegen Hn Orell sagen? Er – ist ein – – Bibliopola Tryphon und ein – – mein vetter. –

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Eigenhändige Korrekturen

der Frau Capit. Henzi
der ⌈Frau⌉ Capit. Henzi
übrigen zu erwähnen
übrigen zu geden erwähnen

Stellenkommentar

Recrimination
Übers.: »Vorwurf«.
selon mon besoin
Übers.: »nach meinem Bedürfnis«.
Ebauche
Übers.: »Entwurf, Skizze«.
wider die beyden pastores agrestes
Gemeint sind Wasers Briefe zweyer Landpfarrer die Meßiade betreffend. Vgl. Kommentar zu Brief letter-bs-1749-12-14.html.
figuriere schön in einem trinklied
Vermutlich Anspielung auf Gleims Gedicht Vorzüge in der Klugheit, das in dessen Liedern erschien und in dem sich die Strophe findet: »Herr Bodmer führt gelehrte Kriege;/ o warum führt er sie?/ Denn durch noch tausend seiner Siege/ Bezwingt er doch die Dummheit nie.« Weitere Strophen sind Haller, Euler, Wolff und Meier gewidmet. Sulzer las den Brief Bodmers und insbesondere die Passage zu Gleim anschließend Ramler vor, der Gleim davon Mitte Mai 1750 berichtete. (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 1, S. 228).
Bibliopola Tryphon
Vgl. Kommentar zu Brief letter-bs-1747-09-12.html.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann