Brief vom 9. März 1748, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 9. März 1748

Mein Herr und werthester Freund.

Ich bin Ihnen für die geschwinde und willfährige antwort wegen Hn Bürkli sehr verpflichtet; er wird das vergnügen haben, Ihnen selbst zu danken und gegenwärtige Zeilen ihnen in die hand zu übergeben. Ich hoffe seine bekanntschaft mit Ihnen werde ihnen beyde, wiewol in verschiedenem Verstand, nüzlich werden. Wollte Gott unsre hier lebenden freunde könnten mit denen die in der deutschen luft wohnen, auf einen Synodus in den Alpen zusammenkommen, Schotten zu trinken! Doch ich weis, wenn sie nur Wasser miteinander trinken würden, daß sie in freundschaftliche und dichterische Flamme gesezet würden. Ihre Zerstreuung ist ihnen schädlich. Der Wiz hat etwas anstekendes in sich, wie die Kräze, und er juket, wie dieselbe. Oder nicht so pöbelhaft zu reden: [→]

L'ame est un feu qu'il faut nourrir
Et qui s'eteint s'il ne saugmente.

Wären dise Zeilen keine Citation so stühnden sie hier schöner, aber sie sind von Voltär.

Da es keinen Anschein hat, daß dasige freunde in die Alpen kommen werden, so fragt sich ob wir unsre begierde nach einer solchen Zusammenkunft nicht durch eine list der Einbildung befriedigen könnten. Vielleicht so: wir bestimmeten mit einander etliche schöne Frühlings oder Sommertage, an welchen hiesige freunde z. E. zu Winterthur auf dem Bühel, dasige zu Halberstadt in einer StiftsCelle zusammenkämen. Wir redeten ferner die stunden ab, die wir præcise, jede an ihrem Orte, beyeinander wären, die materie, von welcher wir redeten, darüber stritten, moralisirten, declamirten, oder scherzeten; wir gäben einem jeden von uns auf, die person eines jeden andern von ihnen bey uns zu vertreten; sie bekleideten einen jeden von ihnen mit der person eines jeden andern von uns p.p. Der Einfall ist noch neu, er ist mir unter der feder gekommen, und ich zweifle ob sie oder die Finger ihn nicht gebohren haben.

Doch, sie haben von zwey alten Verliebten gelesen, die an verschiedenen entfernten Orten gelebt und alle Tage ein paar von ihnen abgeredete Stunden zugebracht, nichts andres als von einander zu denken; womit sie ihre liebesmarter ziemlich gedämpfet haben.

Auch hier haben wenige den Hr. Waser für den Kinderlieb halten wollen, doch mehr aus Begierde ihn dadurch verhast zu machen. Aber Hr. Waser hat darauf gescholten, und allen seinen freunden befohlen darauf zu schelten. Ich habe das glük nicht gehabt mit unter die vielen Verfasser genannt zu werden. Die Wi... haben die Ruthe zwar gefühlt aber wie die kinder nur dazu geschrien, und sich nicht gebessert.

D. Hr. Bürkli wird Ihnen die Theorie des Sentimens agreables überbringen, aber er selbst wird sie damit beschenken. Die schrift gegen die Duncias erwarten wir von der Messe; Wenn der verfasser seine Ausfahrt nicht zu pferde, sondern auf dem Esel vorgenommen hat, so wollte ich, daß es zum wenigsten ein starker Esel wäre. Mit den halben Eseln hat man sein Spiel nur halb.

Ich sehe aus ihrem schreiben nicht eigentlich, ob sie meinen brief vom 7 Christmonat empfangen haben. Ich hatte ihn durch Hn Dildei bis Nürnberg geschikt, und befohlen, ihn zu Nürnberg einem Kauffmann zur fernern bestellung zu geben. Es war ein Brief von mir an Hn von Kleist eingeschlossen, ferner eine Abschrift von dem Ganzen Cimon, den ich stark umgeschmelzt hatte. Mir wäre sehr leid, wenn die sachen verlohren gegangen wären. Ich wollte nicht gern daß der von Kleist mich vor kaltsinnig zu seiner freundschaft hielte, weil ich nichts weniger bin.

Ich bitte mit Gelegenheit auch dem aufrichtigen Herrn Hofprediger Sak meine Hochachtung und Empfehlung. Ich könnte für ihn lauter tönende Beynahmen finden; aber diser macht ihm bey mir die meiste Ehre. Adieu

Ich verbleibe

Ihr aufrichtiger Dr.
Joh. Jac. Bodmer.

Zürich den 9 Merz 1748

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers auf der ersten Seite am oberen rechten Rand: »9 Maerz 48«.

Stellenkommentar

L'ame est
Übers.: »Die Seele ist ein Feuer, das genährt werden soll und erlischt, wenn es nicht geschürt wird.«
von Voltär
Die Verse stammen aus Voltaires Gedicht Lettre à Son Altesse Royale Madame la Princesse de *** (wohl Ulrike von Preußen, Königin von Schweden), das im Januar 1747 entstand und im neunten Band seiner Dresdner Werkausgabe gedruckt wurde (Oeuvres, Bd. 9, 1750, S. 189 f.).
Wi...
Winterthurer.
schrift gegen die Duncias
Nicht ermittelt.
brief vom 7 Christmonat
Der Brief war auf den 6. Dezember 1747 datiert.
Hn Dildei
Nicht ermittelt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann