Brief vom 6. September 1745, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 6. September 1745

Monsieur et tres Cher ami.

Ich ergreife jeden Anlaß, der sich giebt, etwas nach Leipzig oder Magdeburg zu verschiken. Darum habe auch die Kaufleute, die auf die Michelis Messe reisen, mit einigen Päkgen chargirt, welche durch verschiedene Wege Hn Bachmann verhoffentlich wohl werden überbracht werden. Ich bitte, was darinnen an Hn von Hagedorn und Hn Langen nach Laublingen eingeschloßen ist, unbeschwert an diese Herren zu bestellen. Hierbey liegt nur der sechste Misodéme und ein paar Zeitungen an Ew. Der fünfte und der vierte Misodeme sind ich weis selbst nicht warum retardirt worden, sollen aber nächstens auch folgen. Es wäre mir ein Gefallen, wenn Ew. dise zwo Zeitungen und den Misodeme, nachdem sie solche durchlesen, an Hn von Hagedorn spediren wollten.

Ich fürchte die ernstlichen KriegesAnstalten in Sachsen und Brandenburg werden unsere lustigern Critischen Kriege unterbrechen. Sonst scheinen die leipzigischen Wizigen Köpfe, welche die neuen brämischen beyträge schreiben, im begriffe zu stehen, sich öffentlich gegen die Gottschedische Faction zu parteyen. Einer von denselben, der sich aber nicht nennt, hat Hn Chorherr Breitinger und mir eine starke Satire wider die Gottschedische Schaubühne übersandt, mit begehren daß wir solche zum druk befödern sollten. Wir haben auch würklich alle Anstalten dazu gemacht.

Ich stehe gleich in procinctu mit Hn Waser nach Winterthur zu reiten, wo auch Hr Landschreiber Heidegger und Hr. Künzli sich einfinden sollen. Wir wünschten Ew.H.E. für ein paar Tage bey uns. Ich überlasse Hn Waser Ew.H.E. zu melden, in was für einen furorem die lieder des Hn Gleim einen und den andern von obigen Herren versezet haben, so daß sie plözlich auch anacreontische Lieder geschrieben haben; welche Ew.H.E. vermuthlich zu sehen bekommen werden. Wenn sie die Nahmen einiger von den Verfaßern der Hällischen Bemühungen wißen, so haben sie die Gütigkeit, sie uns zu entdeken, denn dergleichen Entdekungen, wie sie wissen, dienen nicht wenig das Urtheil von den schriften zu erleichtern.

Ich habe die Ehre mit Hochachtung und Freundschaft zu verbleiben

Monsieur et tres cher ami
Votre tres h. obeiss. serv.
Bodmer

Zürich den 6 Herbstm. 1745.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.

Eigenhändige Korrekturen

giebt, etwas nach Leipzig
giebt, ⌈etwas⌉ nach Leipzig
sie die Nahmen
ihr |sie| die Nahmen
wißen, so haben sie die
wißet |wißen|, so habt |haben| ⌈sie⌉ die

Stellenkommentar

Bachmann
Heinrich Wilhelm Bachmann, Magdeburger Kaufmann und Tuchfabrikant, bei dem Sulzer in dieser Zeit als Hauslehrer in Diensten stand. Der 1707 geborene Bachmann war literarisch und künstlerisch sehr interessiert und stand im Austausch mit Dichtern wie Gleim, Ramler oder Klopstock. Auf der Halbinsel Werder in Magdeburg besaß Bachmann einen Garten, wo die Dichterkreise um Gleim und Lange häufiger persönlich zusammentrafen. Sulzer heiratete im Jahr 1750 Bachmanns Nichte Wilhelmine Keusenhoff und blieb Bachmann auch nach seiner Übersiedlung 1747 nach Berlin verbunden.
die ernstlichen KriegesAnstalten
Preußen führte seit Mai 1745 den Zweiten Schlesischen Krieg gegen Österreich.
leipzigischen Wizigen Köpfe
Karl Christian Gärtner gründete 1744 die fortan in Leipzig erscheinende wöchentliche Zeitschrift Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes, die wegen ihres zweiten Verlagsortes Bremen auch Bremer Beiträge genannt wurden. In dieser Zeit wirkten neben Gärtner Johann Andreas Cramer, Johann Arnold Ebert, Gottlieb Wilhelm Rabener, Johann Adolf Schlegel und Konrad Arnold Schmid daran mit.
Einer von denselben
Vermutlich Gottlieb Wilhelm Rabener. Zu Rabener vgl. auch Brief letter-bs-1752-03-28.html und dazugehörigen Kommentar.
lieder des Hn Gleim
[J. W. L. Gleim], Versuch in Scherzhaften Liedern, 1744–45.
Verfaßern der Hällischen Bemühungen
Die im Umkreis Gottscheds angesiedelten Bemühungen zur Beförderung der Critik und des guten Geschmacks wurden von 1743 bis 1747 von Gottlob Mylius und Johann Andreas Cramer herausgegeben. Vgl. Wilke Zeitschriften des 18. Jahrhunderts 1978, Bd. 1, S. 24–27.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann