Brief vom 17. November 1778, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 17. November 1778

Seit dem ich durch unsre Meßleüte ihren Homer bekommen habe, mein theürester, wofür ich Ihnen meinen herzlichen Dank abstatte, habe ich jeden Posttag mir vorgenommen Ihnen zu schreiben und Ihnen meine Freüde über diese Erscheinung zu bezeügen; aber – der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach --. Das Schreiben wird mir nicht nur, als eine Bemühung des Körpers, sehr sauer, sondern auch der immerwährende Druk mancherley Beschwerden hemmt fast alle Würksamkeit des Geistes. Ein Gedanken flieht den andern, wie Haller sagt, und auch die Worte mich auszudrüken scheinen vor meiner Feder zu fliehen. Neüe Zufälle haben mich zwahr nicht betroffen; aber es scheinet, daß es mir an Kräfften fehle, die alten zu ertragen. Ich muß eine sehr zähe Natur haben, wenn ich diesen Winter überleben soll; und, geschieht es, so wird mir doch das Leben sehr sauer werden.

Aber – was soll ich Sie mit Klagen unterhalten? Ich wollte Ihnen nur sagen, warum ich nicht eher auf ihren lezten Brief geantwortet habe.

Es giebt doch noch Leüte hier, die jedem deütschen Dichter mit ihrem Homer Troz bieten. Unter diesen ist mein College Merian, ein guter Richter, der schlechterdings behauptet, Homer könne nicht beßer übersezt werden, als es durch Sie geschehen.

Aber ich muß, ehe ich zu müde werde, von der Hauptsache, warum ich heüte Ihnen schreibe, sprechen. Mein alter Freünd Reich, liegt mir an, ihm jemanden anzuzeigen, der für seine deütsche Übersezung der allgemeinen WeltHistorie des Guttrie und Gray, die Helvetische Geschichte in einem besondern Band ausarbeite. Mir fiel gleich dabey ihr Nachfolger im Amte, Füßli ein, und izt wünsche ich, daß Sie ihm die Sache antragen und ihn dazu aufmuntern. Sollte er sich dazu nicht verstehen, so würde ich Sie bitten mir einen andern dazu vorzuschlagen. Ich würde Ihnen diese Mühe nicht zumuthen, wenn ich dächte, daß es würklich eine Mühe für Sie wäre. Aber ich denke, entweder Füßli, oder einer seiner Freünde, wird gelegentlich zu Ihnen kommen und dann können Sie ihm den Antrag thun und, falls auch Ihnen das Schreiben sollte schweer fallen, mir den Erfolg durch Hrn. Escher oder einen andern ihrer jüngeren Freünde, melden.

Ich vernehme, daß der englische, oder römische Füßli nun wieder in Zürich ist. Ich würde bey aller meiner Schwachheit schon eine Reise von etlichen Meilen, um dieses Original wieder zusehen. Ich kann kaum hoffen, daß er sich meiner noch erinnere.

Haben Sie Dank mein theürester, für die Mühe, die Sie sich gegeben haben, meinem Neveu par alliance Escher zu einer guten Pfarre zu verhelffen. Izt hat mein einziger noch lebende Bruder das Vergnügen seine Söhne und Töchter, sieben an Zahl, versorgt zu sehen.

Was Sie mir von meinem neüen XXX sagen XXX

Wenn Sie noch die Staatsschrifften lesen, die der izige Krieg in Deütschland veranlaßet, so werden Sie bald durch eine weitläuffige Schrifft von unserm Hofe in Verwunderung gesezt werden so wol über die Gewaltthätigkeiten, als über die politischen Ränke, wodurch der Wiener Hof sich in Besiz fremder Güter gesezt hat. Wenn wir so gewiß wären den Feind mit dem Degen so nachdrüklich zu schlagen, als es mit der Feder würklich geschieht, so würde sich dieser Krieg nach unserm Wunsch endigen. Wie sehr verdiente unser alte Held nach einem ehrenvollen Frieden, noch einige Ruhe zu genießen!

Wie wol es mir nicht an gutem Willen fehlet mit Ihnen noch über manche Dinge zu schwazen, so fehlt es mir an Krafft. Ich bin genöthiget meiner stark aufgeschwollenen Beine halber mich in einer halb liegenden Stellung zuhalten, die das Schreiben bey nahe unmöglich und Höchst mühesam macht. Hr. Wegelin wird Ihnen, wie er sagt auch bald schreiben. Ich umarme Sie von ganzem Herzen.

JGSulzer

den 17 Nov. 78.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Eigenhändige Korrekturen

Ich würde bey aller
Ich thätewürde⌉ bey aller

Stellenkommentar

Geist ist willig
Mt. 26, 41.
wie Haller sagt
Anspielung auf den Vers »Und ein Begriff den andern flieht« in Albrecht von Hallers Trauer-Ode, die dieser über 40 Jahre zuvor »beim Absterben Seiner geliebtesten Mariane gebornen Wyß November 1736« verfasst hatte.
mein College Merian
Der gebürtige Basler Johann Bernhard Merian war seit 1750 Mitglied der Königlichen Akademie, seit 1757 deren Bibliothekar und seit 1770 Direktor der Klasse für Belles-Lettres. In der Handschriftenabteilung der SBB befinden sich mehrere – Vorgänge innerhalb der Akademie betreffende – gemeinsam verfasste Schreiben Merians und Sulzers, u. a. an Formey. Mit Homer beschäftigte sich Merian in mehreren Schriften der Berliner Akademie. Vgl. Finsler Homer in der Neuzeit 1973, S. 439.
Nachfolger
Zum Historiker Johann Heinrich Füssli (vom Feuermörser) als Nachfolger Bodmers am Carolinum vgl. die Briefe letter-bs-1768-06-29.html und letter-bs-1775-01-22.html.
Füßli nun wieder in Zürich
Der Maler Johann Heinrich Füssli war auf der Durchreise von Rom über Zürich nach London, wo er sich fortan endgültig niederließ. Woher Sulzer die Nachricht von Füsslis Zwischenstation in dessen Geburtsstadt Zürich hatte, konnte nicht ermittelt werden. In einem Brief an Zimmermann vom 7. November 1778 heißt es dazu: »Es wäre eine Reise nach der Schweiz werth, um zusehen, wie der unbändige Füßli mit Lavatern umgeht.« (LBH, Ms-XLII-1933-A-I-93).
mein einziger noch lebende Bruder
Sulzers Bruder Hans Conrad Sulzer war Buchbinder und Ratsherr in Winterthur. Seine Tochter Anna Margaretha heiratete wenige Tage, nachdem Sulzer dieses Schreiben verfasste, den Theologen, Vikar und Hauslehrer Kaspar Escher, der nach einer langen Wartezeit Pfarrer in Bonstetten geworden war. Vgl. dazu auch Brief letter-sb-1768-06-04.html.
neüen XXX sagen XXX
Passage von Bodmer durchgestrichen und unleserlich gemacht.
weitläuffige Schrifft von unserm Hofe
Sr. Königl. Majestät von Preussen fernerweitige Vorstellung und Erklärung an Ihre Hohe Mitstände des Deutschen Reichs über das widerrechtliche und friedensstörerische Verfahren Ihro Majest. der Kaiserinn Königinn [...] der Baierischen Erbfolge. Mit Beylagen, Ewald Friedrich Graf von Hertzberg zugeschrieben.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann