Brief vom 10. Dezember 1771, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 10. Dezember 1771

vom 10 Decemb. 71.

Ich hoffe, mein theürer Freünd, daß Sie izt meinen Nefen werden gesehen, und von ihm vergnügte Nachrichten von mir und den meinigen werden bekommen haben. Es bekommt meinen Geschäfften nicht übel, daß ich izt ganz allein bin; täglich kann ich etliche Stunden der Fortsezung meines angefangenen Werks geben. Es ist in Wahrheit schon allein Belohnung genug für mich, daß dieses Werk Ihnen einiges Vergnügen macht. Noch habe ich von seiner Aufnahm keine andre Nachricht, als daß es ziemlich stark abgeht. Die deütschen Poeten und Critiker werden am wenigsten damit zufrieden seyn: aber wenn ich nur das unpartheyisch denkende Publicum gewinne, so ist mir an dem übrigem Nichts gelegen. Wieland soll einige Unzufriedenheit darüber geäußert haben. Dieses ist zur Zeit noch alles, was ich davon erfahren habe.

Was denken Sie wol mein theürer Freünd, daß ich, um mich etwas von der strengern Arbeit zu erholen eine Tragödie gemacht habe? Ihnen gestehe ich es, daß ich sie für so gut halte, als eine der neüern, die ich kenne, und daß ich mir damit getraue gegen irgend eine von Voltaire, Racine oder Corneille zu stehen. Freylich fehlt ihr die Versification. Izt versuche ich, ob die Kochische Truppe im Stand ist, sie ohne sie zu verderben vorstellen könne. Geht es an, so soll sie Koch haben, und dann komt sie nicht durch den Druk heraus, und ich werde Ihnen in diesem Fall eine Copey davon schiken. Kann ich sie Kochen nicht anvertrauen, so will ich sie in die Drukerey geben.

Die beyden Züricher, die hier sind, scheinen mir von der besten Art zu seyn, die ich hier noch gesehen habe. Durch sie sollen Sie den Hrn. v. Gleichen wieder bekommen – was sagen Sie zu Klopstoks Oden? Därff ich Ihnen gestehen, daß sie mir, um mich eines hier gewiß paßenden Gottschedischen Ausdruks zu bedienen, zu seraphisch sind? Diese Empfindungen und diese Sprache können nie unter dem besten Theil des Publici allgemein werden. Und würde es gut seyn, wenn sie es würden? So hoch sich dieser versteigt, so tieff sinkt der gute Lavater. O! wie schweer ist es die Mittelstraße zutreffen. –

In der politischen Welt scheinet eine starke Gährung zu seyn, die vielleicht bald aufbrausen dürffte. Aber die Herrschenden Maximen mißfallen mir so sehr, daß ich von allem, was daher entsteht, die Augen weg wende. –

Aus Schweden schreibt mir jemand, daß die verwittwete Königin, mein Werk mit Beyfall aufgenommen habe. Und seit dem die Königin hier ist, sagt man mir, daß sie den Verfaßer kennen will. Das mag seyn, aber noch zweifle ich daran, daß Sie ihren Vorsaz ausführen wird. Es wißen schon zu viel Leüthe an unserm Hofe, daß der Verfaßer selten so spricht, wie es die großen gern hören. Wäre das Buch, das uns den Zustand der Welt Im J. 2440 vorstellt deütsch hier herausgekommen, so hätte ich in Gefahr gestanden für den Verfaßer gehalten zu werden. Es ist doch war, daß die Deütschen unmündige Kinder gegen den Franzosen sind. – Ich därff bis auf diese Stunde, noch nicht sagen, daß Basedow ein Charlatan, Weise ein Kindischer und Ramler ein armer, mit äußerster Müh einen Gedanken erzeügender Dichter sey?

Ich umarme Sie mein theürester.

Der Leibmedicus Zimmerman ist völlig gesund von hier wieder abgereiset. Ich habe höchst angenehme Stunden mit ihm gelebt. Er denkt, wie ein Man denken soll, und doch hat er nicht allezeit Muth genug sich über Narren weg zu sezen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b. – E: Körte 1804, S. 400–403.

Anschrift

An Herrn Profeßor Bodmer in Zürich

Vermerke und Zusätze

Siegel.

Eigenhändige Korrekturen

die verwittwete
die Kön verwittwete

Stellenkommentar

keine andre Nachricht, als daß es ziemlich stark abgeht
Sicher erhielt Sulzer die Informationen durch seinen Verleger und Freund Philipp Erasmus Reich. In einem Brief vom 24. Dezember 1771 reagierte Sulzer allerdings auf die Klagen Reichs, dass das Buch insbesondere in der Schweiz nur schlechten Absatz fände: » Mein lieber Freünd. Was Sie mir von den Klagen über den theüren Preis unsers unternommenen Werks und den schlechten Absaz desselben in der Schweiz berichten, macht mir eben kein Vergnügen. [...] Das Buch ist freylich zu theüer, um von allen, die es lesen möchten gekaufft zu werden; aber es scheinet mir für diese Art des Druks, und da es so viel Noten und da auch eine Anzahl Figuren hat, nicht übertrieben theuer. Ich erinnere mich für Winkelmans Historie der Kunst einen Louis d'or bezahlt zu haben, und doch macht weder das Papier noch der Druk davon bey weitem nicht so viel dort aus, als bey unserm Werk. [...] Es will doch schon viel sagen, von einem solchen Werk 1000 Exempl. abzuführen. Hätte man von Anfang die Sache von der Seite des Preises genau überlegt, so würde man vielleicht besser gethan haben, die Sachen nicht so sehr in einander zu drängen, und das Werk allmählig in fünff oder sechs Bänden herauszugeben: weil manchen auf diese Weise der Ankauff wäre erleichtert worden, der izt nicht fünff Thaler auf einmal giebt. Ich bin nun wieder in voller Arbeit den Zweyten Theil in Ordnung zu bringen, und die Arbeit geht mir, wie mich dünkt wol von statten.« (Zit. in: Kittelmann Epistolare Szenen einer Freundschaft 2018, S. 142 f.).
eine Tragödie gemacht
[J. G. Sulzer], Cymbelline, König von Britannien. Ein Trauerspiel. Nach einem von Shakespear erfundenen Stoff, 1772. Vgl. dazu SGS, Bd. 7, S. 209–259, 443–450.
beyden Züricher
Zum Aufenthalt von Johann Konrad Ott vgl. Brief letter-bs-1771-10-15.html. Der andere Zürcher wurde nicht ermittelt.
Klopstoks Oden
Klopstocks erste Oden erschienen 1771 in drei Büchern samt Elegien bei Bode in Hamburg.
Aus Schweden schreibt mir jemand
Absender des Briefes und Brief nicht ermittelt. Ulrike von Schweden war eine der sechs Schwestern des preußischen Königs und seit 1744 mit dem schwedischen König Adolf Friedrich verheiratet, der am 12. Februar 1771 verstarb. Ulrike reiste im Herbst 1771 für acht Monate nach vielen Jahren der Abwesenheit wieder nach Preußen bzw. Berlin, wo sie auch persönlich mit Sulzer zusammentraf. Vgl. auch Brief letter-sb-1772-05-11.html.
höchst angenehme Stunden
J. G. Zimmermann, der bis zu seiner Wiedergenesung und Abreise nach Hannover Ende November 1771 bei Meckel wohnte, hatte mit Sulzer enge Freundschaft geschlossen, die sich in einem umfangreichen, bis zu Sulzers Tod geführten Briefwechsel wiederspiegelt. Die Korrespondenz befindet sich in der Leibniz Bibliothek Hannover und ist teilweise von Eduard Bodemann 1878 veröffentlicht worden. Vgl. zum freundschaftlichen Umgang der beiden in Berlin Zimmermanns Brief an Sulzer vom 30. November 1771: »Ausdrücken kann ich Ihnen auch noch jetzt nicht, wie ungern ich Sie verlassen habe, wie schmerzhaft es mir vorkam, zum letzten Mal einen Freund zu sehen, den ich als meinen Vater ehre und als meinen Bruder liebe, einen Freund, der für meine Seele Alles in Allem gewesen, und ewig für mich Alles in Allem seyn wird. Ach wäre ich doch in meinem ganzen Leben im Stande, Ihnen so viel Vergnügen zu machen, als Sie mir in Berlin Schmerzen weggenommen, ach möchten Sie doch immer so glücklich seyn, als ich es jedesmal gewesen bin, wenn ich Sie in meine Stube treten sah!« (Bodemann Johann Georg Zimmermann 1878, S. 206).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann