Brief vom 1. Juni 1771, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 1. Juni 1771

Der Beyfall den Sie, mein theürester Freünd, so freygäbig und so voll meiner Arbeit angedeyhen laßen, hat mir neüen Muth gemacht. So kleinmüthig war ich zwahr nicht, daß ich überhaupt an dem Werth des Werks zweifelte; aber da mir der Vortrag fast überall sehr sauer geworden, so mußte ich glauben, daß er in den meisten Artikeln den Begriffen selbst nachtheilig seyn würde. An verschiedenen Orten wird sich die Sache ohne Zweifel so verhalten; aber ich bin zufrieden, da Sie finden, daß das Werk im Ganzen betrachtet, auch in Absicht auf den Vortrag gut ist.

Es ist nicht meine eigene, sondern eines andern Nachläßigkeit, daß Sie die Folge davon durch die Gelegenheit der Meße nicht bekommen haben. Ich bin izt mit dem Buchstaben G fertig, und werde bis auf Michaelis noch H und Vielleicht auch J. aus der Preße bekommen und dieses wird den ersten Band ausmachen, der auf der Meße erscheinen wird. Ich habe allerdings die Hoffnung, daß der noch uneingenommene Theil des Publici über die ästhetischen Mikrologen andre Begriffe bekommen werde. Vielleicht werden diese selbst die Ihnen gegebenen Lehren in der Stille annehmen, oder wol gar noch vergnügt darüber seyn, daß sie so gut weggekommen sind. Ihr Aufsaz über das politische Drama ist fürtrefflich und soll mit ihrer Erlaubnis ganz eingerükt werden.

Ihr Adelbert hat gerade das Gepräg ihrer andern Gedichte, das mich für dieselben von je her eingenommen hat. Aber auf den Vers haben Sie weniger Achtung gegeben. Folgender Vers z. E.

Und der Lichte Glanz der Augen unlieblich verfället.

Hat zu offenbar den trochäischen Gang; Ein andrer, den ich izt nicht finde hat offenbar nur fünff Füße. Und dann ist der Ton des Vortrags selbst nach meinem Gehör nicht episch genug. In eine andre Sprach übersezt, wo man diese Mängel nicht merken würde, wäre das Gedicht eben so schön, als eine ihrer andern kleinen Epopöen. Aber ich wünschte es bemeldter Ursachen halber lieber in der dramatischen Gestallt zu sehen. Sie würden ein Höchst angenehmes kleines Drama daraus machen. Gleich die ersten Auftritte, die erste Scene zwischen Adelbert und der Saracenin, und dann die zweyte mit dem Winemund machen einen Höchst angenehmen und Intreßanten Anfang der Handlung. Ich konnte mich anfangs kaum enthalten so gleich alles liegen zulaßen um ein Drama aus diesem Stük zu entwerffen.

Gleim und Jacobi fangen an zu rasen. Lezterer schimpft auf das Ganze Publicum, daß es seinen Freünd nicht für den größten Man verehren will, und der andre will die Anbetung erzwingen. Neülich hat er sich durch die Bekanntmachung der Briefe, die Spalding ehedem an ihn geschrieben hat, breit gemacht und angesehenen Männern, die ihm diesen Unfug verwiesen sehr trozig geantwortet. Und Wieland – ? wie raset dieser nicht mit seiner ausschweiffenden Phantasie?

Vielleicht ist das Gerücht mir zuvorgekommen, Ihnen zu hinterbringen, daß ich meine Ältere Tochter, ein Mädchen von sanftem Gemüth und einem den geraden Pfad vor sich sehenden Verstand, meinem Mitbürger Graff, der izt als HofporträitMahler in Dreßden lebt, zur Frauen versprochen habe. Der junge Man hat ein Gemüth das so rein und so hell ist, wie der schönste Frühlingstag. Also hoffe ich, daß diese Verbindung glüklich seyn und daß Sie mein Theürester noch die Geburth eines Enkels ihres Freünds besingen werden.

Sagen Sie dem ehrlichen Man, der die Schiffe gegen den Strohm will gehen machen, daß sowol Hr. Lambert, als ich dafür halten, daß zwahr die Erfindung in der Sache selbst richtig, aber von keinem Gebrauch für die Schiffahrt sey, weil sie sich in der Ausübung nicht würde mit Vortheil anwenden laßen.

Ich umarme Sie von ganzem Herzen.

JGSulzer

den 1 Junij 1771.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.

Anschrift

Monsieur Le Professeur Bodmer à Zuric frco Nrnberg.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der ersten Seite neben »lichte«: »lichten«. – Vermerk Bodmers am unteren Rand der ersten Seite: »Ich finde in dem original diesen pentameter nicht«. – Vermerke Bodmers auf der leeren letzten Seite »Ich denke der Ton des vortrags welcher nach Sulzers gehör nicht episch entstehe von der Domestichezz der Begriffe, z. B. und sie sahen den Meyer vor s. ländlichen Hütte Einen ruhplaz bekleiden da sich die sonne geneiget.« (vgl. J. J. Bodmer, Adalbert von Gleichen, 1771, S. 55). »Waizenbrod, kalte kuchen, und eine Keule vom Rehe Kommen auf s. tisch und ein krug von fettem biere;« (ebd. S. 56) »... und dünget mit leichen die h. stätte« (ebd. S. 57) »den röthlichen barth und das graue haupthaar Unter dem eisernen hut. –« (ebd. S. 57 f.) »Wie ich ein scheiden that, wie er ein scheiden vom haus that« (ebd. S. 67) »er kauft' uns feilen die Ringe Von den ketten zu brechen...« (ebd. S. 68) »Als ichs ergreifen wollt so wards zurüke gezogen Aber als ich mich entfernte, gleich wieder heruntergelassen.« Weiterer Vermerk unten: »Sulzer hat nicht bedacht, daß das Sujet den hohen ton nicht verträgt; würd er auch denselben in den stellen die hier ihn vertragen, nicht sollte vermißt haben. Ich denke er würde vile stellen selbst nicht episch finden, die mit der idyllen genau zusammen stimmen. Er sollte doch auch vile stellen hier beobachtet haben die sich durch ihre Einfalt empfehlen. So wol in Absicht auf das herz als in absicht auf den ausdruk. Der ausdruk des characteren des schwäbschkaiserlichen Weltalters sollt ihm auch nicht entgangen seyn. In meinem Original hab ich keinen pentameter gefunden:«. – Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »Klopstok kann und muß keines verbrechens schuldig seyn. Er hat sein Herz gar zu zuverlässig kennbar gemacht. Er ist ohne zweifel selbst der Lebbäus im Messias, sagte Spalding im jahr 1750 im januar: zu einer Zeit da er wißen konnte, daß Klopstok von Bodmer weggegangen. Im Julius 1752 schreibt er: der Crito ließe dem Messias völliges Recht widerfahren, und wenn Bodmer ihn macht, so wundert mich das. Aber desto unbilliger ist der stil das urtheil über die stelle in der Elegie. Man hat Klopstoken wohl weh thun wollen da man sein herz und seinen charakter angegriffen. Im jahr 1748. Retten sie ja die schöne Natur vor dem auf doppelte art unnatürlichen wizlinge. Stehen sie Uzen in einer so ehrwürdigen bemühung bey. Die Pest der riesenmässigen schreibart reißet auch noch gerade in disem Winkel von Deutschland ein. Alles will mit Gewallt Hallerisch und Miltonisch seyn, und wird darüber ich weis nicht was.« (Bodmer zitiert hier aus: Briefe von Herrn Spalding an Herrn Gleim, 1771, S. 35, 85, 105). – Siegelreste.

Eigenhändige Korrekturen

größten Man verehren
größten ⌈Man⌉ verehren

Stellenkommentar

dem Winemund
Diener von Adelbert von Gleichen in Bodmers gleichnamigen Stück. Sulzer war offenbar im Besitz einer Handschrift des ersten Entwurfs, die mit der Abschrift in der ZB (Ms Bodmer 30.7.III) weitgehend identisch gewesen sein dürfte.
Bekanntmachung der Briefe, die Spalding
Siehe Briefe von Herrn Spalding an Herrn Gleim, 1771. Darin sind Briefe Spaldings aus den Jahren 1746 bis 1756 publiziert, in denen auch Sulzer vorkommt.
meinem Mitbürger Graff
Anton Graff, den Sulzer bereits 1763 kurz in Freiburg getroffen hatte und der mit Philipp Erasmus Reich gemeinsam 1770–71 nach Berlin gereist war, um Sulzer für dessen Leipziger Freundschaftsgalerie zu porträtieren. Graff verliebte sich dort in Sulzers älteste Tochter Auguste und setzte Reich als Brautwerber ein, wie ein Brief von Sulzer an Reich aus dem Jahr 1771 zeigt: »Mein lieber Freund. der Auftrag den unser Hr. Graff an Sie gethan, hat in Absicht auf mich nichts, das mir nicht völlig angenehm wäre. Ich schäze und liebe ihn, so wol wegen seiner Talente, als wegen seiner guten Sinnesart. Also wäre das, was er verlangt, von meiner Seite richtig. Aber ich habe mir gänzlich vorgenommen, meinen Kindern in einer so wichtigen Sache, deren glücklicher Ausgang doch so sehr von ihren eigenen Empfindungen abhängt, alle Freyheit zu laßen, so lang ich sehen werde, daß sie sich nicht offenbar verirren. Also müßte die Entscheidung der Sache hier lediglich von meiner Tochter abhängen, und das soll sie auch.« (Berlin, 16. Februar 1771, UBB, Autogr. Brüderlin 61). Sulzers Tochter Auguste heiratete Anton Graff am 16. Oktober 1771 in Berlin und lebte anschließend mit ihm in Dresden. 1774 wurde das erste Kind Carl Anton, der spätere Landschaftsmaler, geboren.
dem ehrlichen Man, der die Schiffe
Siehe Brief letter-bs-1771-02-16.html.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann