Brief vom 30. September 1770, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Datum: 30. September 1770

Daß ich Ihnen so sehr selten schreibe, mein theürester Freünd, kommt weder von einer Trägheit des Geistes, noch von Mangel der Freündschaft her; sondern von vielen und ermüdenden Geschäften. Seit dem ich aus Gutherzigkeit und Eyfer für das gemeine Beste mich zur Verbeßerung des Schulwesens habe brauchen laßen, habe ich nicht mit einer sondern mit vielen Hundertköpfigen Hydren zu kämpfen, die mir ofte das Leben sauer machen. Die Kämpfe die ich zu kämpfen habe, machen mich so müde, daß ich auch die müßigen Stunden zu einer völligen Erholung nöthig habe und nicht einmal Muth genug habe einen Brieff zu schreiben. Unser Prof. Müller könnte Ihnen sagen, was für unbeschreibliche Mühe und Arbeit ich mit dem Gymnasio habe, an dem er steht, und was für beschwerliche Feldzüge ich gegen eine Schaar von Leüthen zu thun habe, die in den Chicanen alt worden sind. Den verwiechenen Sommer habe ich müßen nach Magdeburg reisen, um die Schule des Closters Bergen zu visitiren und izt bin ich in Gesellschaft des Hrn. Spaldings in ähnlicher Absicht in Pommern. Da haben Sie die Gründe meiner Nachläßigkeit im Schreiben.

Die Bogen von meinem Werke, so viel davon heraus ist, hatte ich im Sommer schon einmal zusamen gelegt, um sie Ihnen zu schiken; aber ich bin zu blöde gewesen, es zu thun: ich scheüe die scharffen Blike ihres critischen Auges. Mit dem Werk bin ich unzufrieden, weil ich es nicht genug ausarbeiten kann. An gar zu viel Orten ist der Vortrag schülerhaft. Indeßen habe ich doch Muth gefaßt es Ihnen zu schiken: aber ich weiß nicht, ob ich früh genug wieder nach Berlin zurüke kommen werde, um das Päkgen vor Ende der Meße nach Leipzig zu befördern. Sollte ich diese Gelegenheit verfehlen, so werde ich eine andre und gewiß die erste, die sich finden wird ergreiffen. Ich möchte zwahr gerne ihr Urtheil über dieses Werk erfahren: aber, da ich schon anfange den Muth dabey zu verliehren, so müßen sie ihren Tadel mit einiger Schonung vortragen.

Der Zustand unsers guten Wasers macht mich sehr bekümmert: treiben Sie doch den Hrn. Dr. Hirzel an, daß er mir bisweilen Nachricht von dem Befinden, dieses würdigen Freünds giebt.

Der Gefährte meiner Reise und meiner izigen Arbeiten, Spalding, empfiehlt sich Ihnen; ich aber umarme Sie von ganzem Herzen.

JGSulzer.

Stargard in Pommern den 30 Sept. 1770.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Anschrift

An Herr Profeßor Bodmer

Vermerke und Zusätze

Siegel.

Stellenkommentar

izt bin ich
Sulzer besuchte Starogard in Pommern (heute Gmina Stargard in Polen) und das dortige Collegium Groeningianum während einer Inspektionsreise. Sulzer wurde auf seiner Reise von Spalding begleitet, wie er auch in einem am gleichen Tag entstandenen Schreiben an Hans Caspar Hirzel berichtete: »der Hr. Spalding mit dem ich itzt in Pommern bin um die Gymnasia dieser Provinz zu visitiren, freüt sich über ihr gütiges Andenken und empfiehlet sich Ihnen bestens.« (ZB, FA Hirzel 237). Sulzer gedachte dem Schreiben zufolge »in 8 bis 10 Tagen wieder in Berlin zu seyn.« (ebd.).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann