Brief vom 22. August 1767, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 22. August 1767

den 22 August.

Es fehlet nur wenig, mein theürester Freünd, daß ich das Schreiben nicht ganz verlernt habe. Ist es die gar zu überhäufte arbeit, die ich im Anfang des Jahres gehabt habe, oder natürlicher Hang zu einem blos sinnlichen Leben, daß ich izt schon zwey Monat ohne zu schreiben, ohne zu lesen, ohne zu denken, ganz vergnügt lebe? Zwahr hat weder die politische, noch die gelehrte Welt izt solche Aussichten, die das Auge auf sich ziehen könnten. Beyde werden von Sophisten regieret, und man weiß nicht zu sagen, welche von beyden Partheyen die größern Sophisten oder die schwächste Köpfe seyen.

Die Schweizer haben seit so langer Zeit nichts rechtschaffenes gethan, daß Sie wol hätten können die Unruhen von Genff sich zu nuze machen, um von rechtschaffenen Männern gelobt zu werden. Aber alles ist mit geistlicher Trägheit zu allem Guten gefeßelt. Das beste ist würklich seine Augen von der Welt abzuwenden und in der kleinen Sphere, die uns unmittelbar umgiebt, gutes zu thun. Auch die Privat Tugend hat nur wenig anhänger. Doch hätte ich kaum geglaubt, daß mein Freünd Ziegler unehrlich mit jemand handeln würde! Sind Sie auch gewiß versichert, daß er unrecht gegen Sprüngli gehandelt habe?

Von den Einrichtungen unsers Gymnasii werde ich Ihnen durch die Meßleüthe das schiken, was darüber gedrukt worden.

Habe ich Ihnen nicht schon einmal geschrieben, daß ich, im Namen unsers Academischen Factors, dem Füßli welcher die ehemalige Heideggerische Buchhandl. hat, 200 Exempl. kleiner Taschen Calender zugeschikt habe? Er hat mir weder auf meinen Brief geantwortet, noch sonst merken laßen, daß er diese Sachen bekommen habe. Laßen Sie ihm durch einen ihrer jungen Freünde Sagen, daß das Verfahren unanständig ist, und daß er wenigstens mir auf meinen Brief hätte antworten sollen.

Inliegenden Brief an unsern Freünd, laßen Sie sogleich bestellen. Er enthält Erläuterungen über die PredigerStelle in Moscow wozu unser Waser mir jemanden vorgeschlagen hat. Ich umarme Sie von Herzen.

JGSulzer

Beilage: Eingeschlossener Brief an Johann Heinrich Waser

Mein liebster Freünd. In beyliegendem Blatte finden Sie die nöthige Erläuterungen über die PredigerStelle in Moscow. Wenn der Mann, den Sie vorgeschlagen haben noch willens ist, sie anzunehmen, so schiken Sie mir ohne Verzug seinen Namen, damit man ihn zu Ausfertigung seiner Vocation nach Moscow schiken könne.

Sie wißen vermuthlich von unserm Bodmer, daß ich seit ein paar Monaten auf dem Land lebe. Daß ich da denken und Schreiben verloren werden Sie wol aus diesem Blatt sehen. Es ist doch würklich angenehm ein blos sinnliches Leben zuführen, und ein Landjunker kann in der That, wenn er es recht anzustellen weiß, bey seinem jagen und Fischen alle Philosophen alter und neüer Zeit auslachen. Ich wünschte unserm ehrlichen Bodmer, anstatt der unnüzen Bemühungen, politische Sophisten zu bekehren, ein solches Leben, wie ich izt führe. Die Schweizer, das löbl. Vorörtli besonders, werden allem Ansehen nach, durch die Art wie sie die Händel von G. beendigen, die wenige Achtung, die man etwa sonst für sie gehabt haben mag verliehren.

Meine Töchter haben die Poken sehr glüklich gehabt und genießen izt eben die Gesundheit und das Leben, welche mir so gut gefallen. Ich umarme Sie, mein theürester, und ersuche Sie unsre gemeinsch. Freünde von mir herzlich zu grüßen.

JGS

Im Lande Moab den 22 Aug.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Brief Sulzers an Johann Heinrich Waser mit Adresse »Herrn Diacon Waser in Winterthur«.

Stellenkommentar

weder auf meinen Brief
Brief Sulzers an Johann Rudolf Füssli nicht ermittelt.
Inliegenden Brief
Siehe Beilage.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann