Brief vom 7. Januar 1763, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Datum: 7. Januar 1763

W. den 7 Jenner 63.

Mein theürester Herr und Freünd.

Wenn ich Ihnen auch gar nichts zu schreiben hätte, als das Si vales bene est ego valeo, so würde ich es von Zeit zu Zeit schreiben, damit wir uns nur nicht ganz abgewehnen aneinander zu schreiben. Ich habe aber iezo doch etwas mehr, als ein bloßes Compliment zu schreiben. In dem wir uns dem Frühling nähern, wird die Vorstellung, daß ich vielleicht in ein paar Monaten dies Land wieder verlaßen muß, in mir rege, und mit dieser eine andere, daß ich keine Zeit mehr zu versäumen habe, ihre Nachbarschaft mir zu nuze zumachen. Eine Folge dieser Vorstellungen ist der Entschluß den ich gefaßet habe in 10 oder 12 Tagen wieder nach Zürich zu gehen und mich denn wenigstens 14 Tage lang da aufzuhalten. Ich därff Ihnen nicht erst sagen, daß Sie die Hauptperson sind, um deren willen ich dahin gehe, und daß ich mich auch noch recht mit Ihnen ablezen möchte. Aber dieses muß ich Ihnen entdeken, daß ich gerne, inso fern es nämlich ohne merkliche Beschwerde geschehen kann, in ihrem Hause die Einkehr nähme. Ich werde allein, ohne Bedienten kommen, und Ihnen gewiß nicht mehr Ungelegenheit machen, als etwa Wieland gethan. Sie müßten meinethalber weder in ihrer Küche noch Keller neüe Anstallten machen, auch ihre Magd darum nicht von ihrem Tisch ausschließen. Kurz, wenn Sie mir nur ein Pläzgen zum Schlaffen geben könnten, so müßte man mich übrigens im Hause wenig merken. Sie werden mir verhoffentlich das Verlangen bey Ihnen zu seyn, so auslegen, wie es in meinen Gesinnungen liegt und dabey glauben, daß ich keines weges erwarte, daß Sie oder die Frau Profeßorin sich darüber Gewallt anthun sollen. Schreiben Sie mir ohne Rükhaltung, ob es Ihnen gelegen sey, oder nicht. Ich werde mich eben nicht scheühen, die obere Stube, in welcher es Ihnen zu kalt ist, zu beziehen, mir würde sie warm genug seyn darin zu schlaffen.

Mein Bedienter hat sich, wie ein Bernhäuter davon gemacht und in Zürich holländische Dienst genommen. Ich kann ihn, da er mir sonst so schlecht gedienet hat gar leicht mißen und noch leichter ganz vergeßen. Unser Hr. Schultheiß ist mit seiner lezten Reise nach Zürich sehr zufrieden und wir hoffen daß Hr. Lavater und Hr. Heß es auch mit der ihrigen seyn werden. Ich werde von meinem Lexico die 7 ersten Buchstaben oder Bücher mit mir bringen um allen Rath und Unterricht den Sie mir darüber werden geben wollen anzunehmen.

Suchen Sie keine Entschuldigungen, wenn Sie mich nicht haben können. Ein einziger Wink hierüber ist schon hinlänglich.

Adieu.
S.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

An Herrn Profeßor Bodmer in Zürich.

Vermerke und Zusätze

Siegelreste. – Blatt an Siegelstelle abgeschnitten.

Stellenkommentar

Si vales bene est ego valeo
Lat. Briefformel: »Wenn es dir gut geht, ist es gut, mir jedenfalls geht es gut«. (gebräuchlich auch in der Abkürzung »S. V. B. E. E. Q. V.«).
mit Ihnen ablezen
von Ihnen verabschieden.
wie ein Bernhäuter
Auch »Bärenhäuter« oder »Bernheuter«: träger, fauler Mensch.
die 7 ersten Buchstaben oder Bücher
Sulzer arbeitete sich in der Allgemeinen Theorie nach dem Alphabet vor. Vgl. z. B. auch Brief letter-sb-1762-12-14.html: »Jezo bin ich im Artikel Gedicht

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann