Brief vom 27. März 1759, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 27. März 1759

Mein werthester Herr und Freünd.

Ihr leztes Schreiben vom 28 Febr. habe ich richtig bekommen, und Sie sind der erste, der mir die Angenehme Nachricht aus Winterthur gegeben, wofür ich Ihnen ausnehmend verbunden bin. Vor ein paar Tagen erfuhr ich auch die zweyte gehofte Nachricht von der Beförderung des würdigen Sohnes seines würdigen Vaters. Beyde Nachrichten haben mich mit angenehmen Empfindungen über meine Vaterstatt erfüllet; nun fehlet nichts mehr, als daß Waser und Künzli die Häupter der dortigen Geistlichkeit seyen; als denn soll sich kein großer Staat so würdiger Vorsteher zu rühmen haben. Aber so viel Verdienste sind für einen so unbemerkten Schauplaz zu groß.

Jezt ist Friederich beschäftiget seine Heere wieder ins Feld zu führen; Er selbst hat sich vor der Hand bey Stonsdorff zwischen Liegniz, Schweidniz und Landshut, niedergelaßen und einen Theil seines Heeres um sich versammelt. Allen Nachrichten zu Folge ist dieses Heer jezo zu schnellen Zügen, mehr als iemals geschikt und zu allen Bewegungen unvergleichlich geübet, so daß wir große Hoffnung haben, dieses Jahr unsre Feinde nahe an den Frieden zu bringen.

Vor einiger Zeit hat ein kleines Corps einen Zug nach Pohlen gethan, um die Rußischen Magazine längst der Warte zu verderben, welches auch würklich geschehen ist. Einige leichte Reüter streiften damals bis nach Crakau und fingen dort einen aus Wien nach Petersburg gehenden Curier auf, deßen Papiere dem König unendlich wichtig gewesen. Er hat der Feinde wichtigste Geheimniße erfahren, und sich ausnehmend vergnügt darüber gezeiget.

Die Rußen werden dies Jahr sich nicht so fürchterlich zeigen, als das vorige. Ihr Heer gleicht einem ehedem großen und prächtigen Pallast, den ein gewaltiges Erdbeben in den innersten Fundamenten erschüttert und halb umgestürzt hat; es sind Ruinen eines Heeres, die Schweden aber gleichen den Ruinen eines kleinen Bürger Hauses. Es wird gesagt, daß unter den entdekten Geheimißen der Feinde auch dieses gewesen, daß Meklenburg sollte 8 Tausend Mann zu den Schweden stoßen laßen. Aber dieses zernichten wir jezo dadurch, daß wir aus diesem Land die zum Krieg sich schikende Manschaft weg nehmen, und uns dienen laßen. Man hat seit langem angemerkt, daß Meklenburg uns die besten Soldaten liefert.

Nachdem der Prinz Heinrich geholffen hat Heßen von den Reichstrupen zu reinigen ist er wieder nach Dreßden zurüke gekehrt, so daß gegenwärtig noch alles ziemlich stille ist. So bald der Feldzug würklich angegangen seyn wird, werde ich Ihnen öftere Nachrichten geben.

Wie sind Sie so frühe zu Gleims Lied gekommen, da es erst seit acht Tagen hier abgedrukt worden? Wenn Sie es etwa durch den Hrn. v. Kleist erhalten haben, so ist das ihrige von dem Gedrukten etwas verschieden. Denn es haben verschiedene harte Ausdrüke müßen geändert werden. Freylich muß Ihnen Ramlers Ode gegen dieses Stük pedantisch scheinen; und ich halte doch diese Ode beynahe für des Verfaßers non plus ultra. Es ist schon lange her, daß ich alles deßen ungeachtet, was hier und da von diesem Dichter gerühmt worden, ihn für kein Genie einer merklichen Größe gehalten habe.

Wir haben hier ein kleines Trauerspiel Philotas von einem Aufzug, das Vos sehr sauber mit lateinischen Lettern gedrukt hat. Es ist von Leßing. Ehe ich dieses wußte hielt ich es für eine Arbeit wozu Gleim und Kleist jeder das seinige beygetragen. Es sind Funken eines großen Geistes darin, der aber auch wieder sehr herab sinkt und in dem Tragischen beynahe poßirlich wird.

Sie haben sehr wol gethan, Wielanden zu einem kaltsinnigen Empfang seiner Gegner zu stählern. Ich wünschete zwahr, daß er einmal für allemal Antworten, und einige der streitigen Punkten in ein völliges Licht sezte, aber daß es mit kaltem Blute geschähe. Der vernünftigere Theil hält es insgemein mit dem, der sich am gelaßensten zeiget. Freylich haben die Berliner einen starken Anhang, aber deßwegen därff man sich vor ihnen nicht fürchten, wo man Recht hat. Ich freüe mich mit Ihnen, daß Sie Jünglinge gezogen, die auch nach Ihnen das Recht der Vernunft und des Geschmaks werden behaupten können. Wenn die hiesige Schule sollte die Oberhand bekommen, so würde der große Geschmak unfehlbar darunter sehr leiden.

Könnten Sie nicht einem von diesen jungen Leüthen auftragen die Historie der deütschen Poesie von den lezten 40 Jahren her zu schreiben. Nach einem Plan, den ich mir vorstelle, würde dieses Werk eine große Entscheidung verschiedener streitiger Punkten und die beste Abfertigung der meisten Gegner seyn.

Mein Wörterbuch nimt von Tage zu Tage zu, ohne seinem Ende näher zukommen. Mit der Arbeit häuffet sich die Menge der Materien. Ich habe mit einem Polypus zu thun, wo jedes Glied wieder zu einem ganzen thier wird, das wieder neüe sich vermehrende Glieder hat. Aber ich verliehre deßwegen den Muth nicht: ich will mich herausschwingen, so groß auch die Arbeit seyn mag. Jezo bin ich seit ziemlicher Zeit in der Mahlerey. Dabey erinnere ich mich, daß ehedem ein Mitglied ihrer dortigen Physic. Gesellsch. eine kleine Historie der Glasmalerey der Versaml. vorgelesen (Er hieß Muralt, wenn ich nicht irre). Könnte ich nicht durch ihre Hülffe diese Schrifft, oder einen Auszug davon bekommen? Ferner; könnte nicht dieser oder ein andrer Liebhaber in Zürich mir einige Nachricht geben, wie alt ohngefehr die älteste Gemälde auf Glas sind, die man in den alten Kirchen antrifft? Was für ein Geschmak der Zeichnung darin herrscht? Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir einen Man anzeigen könnten, dem ich hierüber schreiben könnte. Ich habe schon so viel gesehen, daß in dem 9 und 10 Jahrhundert diese Künste beßer gewesen, als in dem 13 und 14. in welche alle Geschichtschreiber die Erneüerung der Zeichnenden Künste sezen. Sollten nicht noch gemalte Fenster aus dem 10, 11 oder 12 Jahrhundert vorhanden seyn?

An dem Poetischen Theil meines Werks habe ich am wenigsten gearbeitet. Ich behalte mir dieses zum lezten pour la bonne bouche vor. Aber von ihren jüngern Freünden würden mir Beyträge sehr angenehm seyn.

Hr. Künzli schreibt mir, daß Wieland Zürich bald verlaßen werde, ohne zusagen, wohin seine Gedanken gerichtet sind. Ich dächte doch, daß er hieher kommen sollte. Wenigstens sind hier mehr Gelegenheiten unterzukommen, als an andern Orten, da er hier ohne dem Freünde hat, die sich seiner eyfrig annehmen würden. Seine hiesige Gegner sind nicht im Stand ihm zu schaden; denn in der Bürgerlichen Gesellschaft sind sie Nichts.

Ich habe Hrn. Saken die Mste, den seel. Hrn. Zimmerman betreffend wieder abgefodert, aber noch nicht erhalten, vermuthlich blos weil er es vergeßen hat, ich schike sie durch die Meßgelegenheit zurüke.

Noch habe ich nicht erfahren, ob wir hierzulande das Korn für die Magazine in Ofen truknen, glaube auch nicht, daß es geschiehet. Dieses können Sie als eine vorläuftige Antwort der Physic. Gesellschaft berichten. So bald ich etwas näheres erfahre, werde ich Nachricht davon geben.

Mit des Hrn. Gerichtschr. Orells Sache sieht es schlecht aus. Der Advocat meint, daß die Jfr. Anton ihre Rechnung beschweeren werde. Als dann ist von der Verlaßenschaft nicht das geringste zu erwarten, und der Proces könnte 20 bis 30 Rthlr. kosten. Mich dünkt aber, daß Hr. Orell mir geschrieben, die dortigen Geschwister haben den hiesigen auf das Gütchen Geld geborget. Wenn dieses ist und sie eine Obligation darüber haben, so müßen Sie mir dieselbe schiken, dann sonst ist nichts für sie zu hoffen. Das Gütchen ist schwerlich 1000 Rthlr.. werth. Die Anthonische Rechnung geht Höher, wie wol sie unrichtig seyn mag. Wenn wir uns melden, um alles gerichtlich taxiren zu lassen, so kann allem Ansehen nach die Taxe nicht höher kommen, als die Anthonische Fodrung, deren Richtigkeit wird als dann beschweren, und wir haben alle Umkosten umsonst gehabt. Wenn Hr. Orell aber eine ältere Foderung, als die Anthonische ist gültig machen kann, so muß er sich melden.

Ihre neüe Hexameter auf Fermorn und Gleim sind mir vollkommen leserlich und ganz nach meinem Sinn. Wenn nicht die Nicolaische Schule die hiesige Zeitungen in ihrer Gewallt hätten, so hätte ich den prahlenden Fermor in der Zeitung aufgeführt, aber ich mochte ihnen deßwegen keine guten Worte geben, und habe mich begnügt sie meinen Freünden mitzutheilen. Sie werden durch ihr Lob Gleimen wieder ganz gewinnen, aber doch nur so lange, bis sie wieder etwas an ihm Tadeln. Denn dieses kann er durch aus nicht leiden, er will schlechterdings immer schärffer sehen, als andre.

Bald möchte ich auch so gebieterisch seyn Ihnen zu sagen, Sie müßen mir schlechterdings Ihre Johanna Gray, ihren Burgermeister Stüßi und ihr neües Trauerspiel im griechischen Geschmak schiken, und wenn ich sie erhalten hätte, so würde meine Frau mich deßhalb ungemein loben. Denn ihr eigenthümlicher Dichter ist Bodmer.

Das Päkgen an Hrn. Dusch ist bestellt. Laßen sie doch das, was Sie etwa durch die Meßen an mich schiken in der Weidemannischen Handlung abgeben, denn sonst bekomme ich alles gar zu späthe.

Leben Sie nunmehr wol, mein werthester und grüßen Sie meine Freünde.

den 27. März 59.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 193–198 (Auszug).

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers am unteren Rand der letzten Seite: »memento Lamberti.«

Lesarten

dann
denn
Fodrung
Foderung

Eigenhändige Korrekturen

es mit kaltem Blute geschähe.
es ⌈mit kaltem Blute⌉ geschähe , daß jederman daraus sehen könnte, daß es mit kalten Geblüte geschrieben.
Gemälde auf Glas
Gemälde von auf Glas

Stellenkommentar

Historie der Glasmalerey
Der Glasmaler Hans Conrad Meyer hielt im Jahr 1747 vor der Physikalischen Gesellschaft einen Vortrag über Glasmalerei. Näheres zu dem Vortrag und zu Meyer selbst konnte nicht ermittelt werden. Vgl. auch den Artikel »Glasmahlerey« in: Sulzer, AT, Bd. 1, 1771, S. 481.
die Mste
Sack schickte das Manuskript der Lebensbeschreibung des verstorbenen Johann Jakob Zimmermann selbst an Breitinger zurück. Vgl. Sacks Brief vom 30. April 1759 an Breitinger (ZB, Ms Bodmer 22.24). Darin: »Indeßen werden Ew: HochEhrwürden leicht urtheilen, daß ich, als ein eyfriger Patriot, unter diesen Gewittern in der ruhigen Gemüths-Faßung wohl nicht habe seyn können, die erforderlich war, unserem sel. Freünde das Denkmal meiner Verehrung und Liebe so aufzurichten, als ich es gewünscht hätte, und es seiner nicht gantz unwürdig gewesen wäre. Ich sehe mich also genöthiget, die bezahlung dieser Schuld bis auf hellere und ruhigere Zeiten, die Gott bald herbeyführen wolle! noch auszusetzen, und vor der Hand den mir gütigst mitgetheilten Aufsatz hiebey wieder zurück zu senden.«

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann