Brief vom 20. Mai 1758, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 20. Mai 1758

Mein werthester Herr und Freünd.

Sie warten ohne Zweifel schon lange auf diesen Brief, den ich auch schon lange gern geschrieben hätte. Ich habe seit etlichen Wochen von Tage zu Tage gehoft mit der Comission von ihrem Hrn. Schwager zu Ende zu kommen, und das Schreiben bis dahin verspahren wollen. Ich bin aber an einen zweyten Chicaneur gekommen, der die Sache wegen der Bezalung ins weite ziehet. Doch bin ich bereits so weit, daß ich gegen 500 Rthlr.. in Händen habe und hoffe den Rest nun auch bald zu bekommen. Ich werde die künftige Woche das in Händen habende Geld per Wechsel übermachen und den Rest, sobald es möglich seyn wird nachschiken. Dies ist eine Ursache, meines langen Stillschweigens. Die zweyte ist, daß ich geglaubt habe, ich würde durch die Meße etwa von Ihnen etwas bekommen, und in Erwartung deßen habe ich auch das Schreiben aufgeschoben. Es ist aber nichts gekommen.

Ich komme nun zur Sache selbst, und mache billig den Anfang von den großen Angelegenheiten. Der Feldzug hat sich diesmal in Mähren eröfnet. Der Eingang in diese Provinz ist von Schlesien aus voller Schwierigkeiten und würde unmöglich gewesen seyn, wenn die Feinde da gewesen wären um die Eingange zu besezen. Unser großer Feldherr aber hat den Daun wie einen Schüler in der Kriegeskunst betrogen, und ist ohne Wiederstand vor Ollmütz gerüket. Ein theil der Armee belagert diesen Ort seit etlichen Tagen und der König ist mit der Hauptarmee etwas weiter in das Land herein gerükt um den Daun abzuhalten die Belagerung zu stöhren. Es wird also in kurzem verschiedenes vorfallen, das sehr wichtig seyn dürffte. Der Prinz Heinrich ist mit ohngefehr 30 tausend Mann aus Sachsen aufgebrochen, um wie es heißt nach dem Reich zu gehen und in Sachsen hat er einige tausend Man gelaßen. Die Schweden werden noch immer bloquirt gehalten, so weit es zu Lande angeht sie einzuschließen, und die Rußen werden blos beobachtet und halten sich noch zur Zeit stille. Der Prinz Ferdinand ist auch noch nicht aufgebrochen. Also stehen die großen Begebenheiten noch an dem Rand ihres Werdens. Es läßt sich aber zum voraus vermuthen, daß die Feinde überall dörfften den kürzern ziehen: denn sie sind allenthalben in Verfaßungen, welche sehr weit unter den unsrigen sind, und wir haben Anführer, welche den ihrigen ebenfalls weit überlegen sind. Berlin wimmelt von gefangenen Offizieren, und es ist eine neüe Art des Triumfs den unsre würdige Königin hat, so viel frömde Nationen, an Kleidung, Sprache und Sitten verschieden, an ihrem Hofe zu sehen. Ein großer und rührender Anblik. Unter diesen Frömden spielen die Franzosen die schlechteste Rolle. Sie sind an Ansehen, Sitten und guten Manieren durchgehends weit unter den Andern. Die Schweizer, welche wir hier haben behalten ihren National Charakter. Sie halten unter sich nur Bekanntschaft und erheben sich nicht bis an den Hof. Dafür aber sind sie von dem Spott und der Verachtung in welche die meisten Franzosen kommen frey. Diese machen eine unglaublich schlechte Art Menschen aus. Sie sind unerhört unwißend und dazu noch so verblendet als unwißend, und bringen ihre ganze Nation um das Ansehen, in welchem sie sonst hier gestanden hat.

Die Auszüge aus Philoklens Briefen haben mich und meine Freünde ausnehmend ergezt. Ich habe einiges dem Pr. v. Pr. vorgelesen dem es nicht weniger gefallen. Aber der Einfall von der LandAmmanStelle hat Ihn weniger gerührt, weil ich nach vielen Worten Ihm erst konnte begreiflich machen, was für ein Volk das ist, deßen Haupt der LandAman genannt wird. Der Baron Pöllniz, der zugegen war, und der nicht der beste Patriot ist, suchte die Sache zu verkleinern. Es giebt überhaupt noch Leüte, welchen der Hohe Ruhm des Monarchen scheinet zuwieder zu seyn, und es scheinet, als wenn die Deütschen auch darin ihren schlechten Geschmak zeigten.

Die vorige Woche war Gleim hier, der uns Tausend Anecdoten zur Verachtung der Franzosen erzählt hat. Er hält es jezo für die Größte Beschimpfung, welche man einem machen könnte, wenn man ihn einen französ. Marquis nennte. Er hat sehr viel von ihnen ausgestanden.

Ich vernehme aus Leipzig, daß ein Paket von Exemplaren meiner Rede, welche ich dorthin geschikt hatte um auf der Meße abgesezt zu werden, und die ich erstlich für die Schweiz bestimmt hatte, doch nach Zürich geschikt worden. Sie werden also vermuthlich dort liegen bleiben. Die Buchführer sind gewohnt alles anzuwenden ein Werk zu unterdrüken, das nicht ihnen zu gefallen gedrukt worden. Ich habe die Umkosten des Druks nicht völlig wieder bekommen.

Ich schreibe Ihnen nichts aus dem Reich der Schönen Wißenschaften, weil hier nichts vorgefallen. Was die Meße in die Welt gebracht hat, werden sie schon gesehen haben. Noch habe ich den Tod Abels nicht gelesen, weil mir Voß gesagt hatte, daß er in seinem Ballen ein Exemplar für mich habe. Man hat hier verschiedenes gegen die Schreibart darin ausgesezt, welche man für gezwungen hält. Aber die Materie hat den völligen Beyfall derer die ich gesprochen habe. Das Portrait von Hagedorn ist schon lange bestellt und wundert mich, daß ich es noch nicht empfangen habe. Vielleicht kommt es noch zeitig genug mit den Wollenwagen nach der Schweiz zu gehen.

Ich arbeite meist täglich an meinem Wörterbuch ohne weiter zukommen, weil sich die Arbeit unter der Hand gar zu sehr vermehret. Ich habe mich genöthiget gesehen Hülffe anzunehmen. Doch entwerffe ich alle Artikel selbst, und werde auch die frömden wieder überarbeiten. In einigen Tagen reise ich nach Oranienburg um dem Pr. v. Pr. daselbst aufzuwarten, deßen Gesundheit noch nicht gänzlich wieder hergestellt ist. Ich wollte, daß ich dort einen Brief von Ihnen oder von Hrn. Künzli bekäme. Lezterer hat mir in ziemlich langer Zeit nicht geschrieben. Ich muß enden, weil ich zu einem Spaziergang abgeruffen werde.

Leben Sie wol.

den 20 May 1758.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 178–181 (Auszug).

Anschrift

A Monsieur Bodmer Membre du grand Conseil et Professeur tres celebre à Zurich frco. Nrnberg

Vermerke und Zusätze

Auf der ersten Seite »ihrem Hrn. Schwager« von Bodmer geschwärzt. – Siegelreste.

Stellenkommentar

war Gleim hier
Vgl. Gleim an Uz, 16. August 1758: »Sechs gantze Wochen, in der angenehmsten JahresZeit, den May hindurch, habe ich auf einer Reise nach Berlin, und bis Stettin zugebracht. [...] Ich traf viele französische Officiers alß KriegsGefangne an, die vor ein Paar Monathen unter unsern Überwindern waren; alle gestunden einmüthig, überhaupt genommen, sey Berlin weit schöner als Paris! Auch gefiel Ihnen die LebensArt beßer; hingegen gefiel die LebensArt der Herren Franzosen, den Berlinern nicht. Alle Tage hörte man von lächerlichen Streichen. Wir haben alle geurtheilet, die fr. Nation sey durchaus verdorben; mich wundert, daß ihre moralischen Scribenten nicht mehr über den Verfall der Sitten klagen; Ist er etwa nicht schädlicher als der Verfall des Geschmacks? Waß für ein Jammer, solche Nation den Meister spielen sehn!« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Uz 1899, S. 291 f.).
reise ich nach Oranienburg
Das Schloss Oranienburg befand sich von 1744 bis 1758 im Besitz des Prinzen August Wilhelm, der sich vor allem in den Sommermonaten dort aufhielt. August Wilhelm, der nach der Schlacht von Kolin wegen militärischer Fehler von seinem Bruder Friedrich II. unehrenhaft aus dem Truppendienst entlassen worden war, starb in Oranienburg am 12. Juni 1758.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann