Brief vom 11. März 1758, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 11. März 1758

Mein werthester Herr und Freünd.

Es ist mir sehr verdrieslich, daß ich Ihnen das lezte End von dem vorgehabten Proceß ihres Hrn. Schwagers noch nicht zeigen kann. Der Kauffman, an welchen ich die Waaren überlaßen habe, verlangte, ohne daß es bey dem Kauff ausbedungen worden einige Zeit, sie zu bezahlen. Ich hatte ihm die Meße zu Frankfurth an der Oder dazu gegeben, und jezo verlangt er noch 14 Tage, oder 3 Wochen. Also müßen Sie ihren Hrn. Schwager noch so lange vertrösten. Der Man ist vollkommen gut und sicher und es wird, da er mir einmal eine ZahlungsZeit ausdrüklich bestimmt alsdenn gar keine Schwierigkeit mehr haben, und ich werde es per Wechsel auf Amsterdam übermachen. Was übrigens die Fragen betrifft, welche dieser Sache halber von Hrn. Orell an mich gekommen, so beantworte selbige in beyliegendem Blatt. Es thut mir herzlich leid, daß er mit so starkem Verlust von diesem Mann abgekommen, da er nicht voll 50 pro Cent bekomt. Aber wenn er sich die Mühe geben will sich hier bey unpartheyschen Häusern zu erkundigen, so wird er erfahren, daß für die übrigen Creditores schwerlich 20 pro Cent wird zu haben seyn.

Nun laßen Sie uns von dem glüklichen Anfange der neüen Krieges Verrichtungen gegen die Franzosen uns freüen. Ich beziehe mich einiger besonderer Umstände wegen auf meinen Brief an Hrn. Künzli, den er ihnen ohne Zweifel zuschiken wird. Es ist zum erstaunen, wie diese Hochmüthige Nation iezt erniedrigt wird. Und nun hat es das Ansehen, daß die gute Sache vollkommen siegen wird. Auf der Seite von Schlesien sind alle Vermuthungen, daß es gut gehen werde; aber wir wißen noch nicht, wie bald die Rußen versuchen werden nach Pommern einzudringen. Indeßen bin ich dieserHalb ganz ohne Sorgen, sie werden gewiß auch an die Reyhe kommen, und als denn wird verhoffentlich der Friede nicht weit mehr entfernt seyn, und dieser wird uns hier ein ganz neües Leben geben.

Es ist unglaublich, wie wenig gutes von unsern Dichtern auf die Siege ihres Königs ist geschrieben worden. Gleim hat einige artige Lieder, aber von der leichten Art gemacht, die ich Ihnen durch die Meßgelegenheit schike. Breyeman in Brandenburg ist noch würklich der beste unter denen, die sich bey dieser Gelegenheit bekannt gemacht haben und ich möchte ihn doch nicht mit Nauman in eine Claße sezen. Gleim hat sich vorgenomen die Geschichte dieses Krieges zu schreiben.

Ich weiß noch nicht ob die 250 Exemplare von meiner Rede, welche hier nicht verkaufft worden an Hrn. Orell werden geschikt werden oder nicht. Weil ich keinen Verleger dazu gefunden, der sie auf schreibpapier und etwas ordentlich gedrukt hätte, so habe ich die Kosten dazu gegeben, und möchte nun gern auch die ganze Auflage, die, außer denen die ich verschenkt habe nur von 500 ist verkauffen. Ich habe den Rest nach Leipzig geschikt. Wenn Hr. Reich sie dort nicht absezt, so wird er sie sogleich an Hrn. Orell schiken, mit dem ich hernach schon werde überein kommen. Sollte aber dieser Rest verkaufft werden, so wird Hr. Reich ein Exemplar mit der Post an Hrn. Orell schiken. Sie ist in Regenspurg nachgedrukt worden.

Ich hoffe, daß Sie mir ihre Trauerspiele nicht werden vorenthalten. Wenn sie noch nicht gedrukt werden, so möchte ich gerne eine Abschrifft davon haben, die ich Ihnen allenfalls wieder zustellen will. Vom Cores erwarte ich etwas vollkommenes. Die Wahl des Helden gefällt mir sehr. Ich weiß nicht ob der Pr. v. Pr. so viel Achtung für die deütsche Poesie hat, ein episches Gedicht darin zu lesen. Indeßen muß man es versuchen. Meine Rede hat Ihm gefallen, und Er hat mich versichert, daß er darin die deütsche Sprache über seine Erwartung gut gefunden habe. Mit dem Gebrauch der franz. Sprache hat sich auch eine franz. Art zu denken hier eingeschliechen.

Ich halte das was Sie mir von ihrem Philocles schreiben für die allerhöchste Lobrede, die man auf den König machen könnte. Es scheinet kaum möglich, daß man in einem Land, wo die allerübertriebenste Freyheit herscht, so denken könne. Ihre ecstatischen Saillies, wie Sie es nennen, habe ich gelesen, denn den Brief von Hrn. K. darin er sie mir überschreibt habe ich empfangen. Gleim ist noch so ziemlich aus den Händen der Räuber entkommen. Er hat ein paar sehr gute Offiziere bey sich gehabt, die jezo, auf seine Empfehlung als Kriegesgefangene bey mir wohnen und hier den Lohn ihres guten Verhaltens empfangen.

Es wäre vergeblich, den Tagliazucchi zu bereden Wielands Erzählungen zu übersezen, denn er kann in der that nicht deütsch. Die Übersezung des Frühlings hat Er mit Hülffe des Ewalds gemacht, der ihm alles vorher so gut er gekonnt französisch gesagt hat. Ewald ist nun Rath bey dem Erbprinzen von Darmstatt deßen Prinzen er erziehen soll. Er wäre beynahe der lezte gewesen, den ich zu einem solchen Posten vorgeschlagen hätte. Aber sein Principal wird ihn nicht übersehen.

Haben Sie das, was Sie mir von Winkelman schreiben von guter Hand? Mir hat man gesagt, daß seine neüe Glaubensverwandten (denn er ist den Statuen zu gefallen Catholisch worden) hinlänglich unterstüzen.

Meine Arbeit an dem Wörterbuch geht langsam fort, doch rükt sie immer etwas. Der Krieg hat mich auf eine unglaubliche Weise zerstreüt. Es sieht in meinem Kopf so verworren aus, wie in diesem Brief. Ich kann an nichts mit einiger Ordnung denken oder mit einiger Geduld arbeiten, als an Dingen, welche sich auf die allgemeine Begebenheiten beziehen. Seit einem ganzen Jahr bin ich nicht einen Tag (es sey denn, daß ich krank gewesen) beständig zu Hause gewesen. Die öffentlichen Spaziergänge und die Gesellschaften worin vom Krieg gesprochen wird sind meine meiste Beschäfftigungen. Also sehne ich mich auch dieser besondern Ursache halber nach dem Frieden, wie ein Reisender nach langen Beschwerlichkeiten sich nach seinem Vaterlande sehnet. Ihre und Hrn. Künzlis Briefe muß ich in den Gesellschaften meiner Freünde allemal lesen, so weit sie von den Begebenheiten der Zeit handeln. Jedes Wort wird erwogen. Man ist ungemein mit den Gesinnungen zufrieden, die man darin findt.

Der ganze Bestand den ich mit Hrn. Orell wegen der Minnesinger zu berechnen habe beläufft sich auf 26 Rthlr.. davon Gleim allein 10 Rthlr.. mir geschikt hat. Ich werde ihm diese Summe bezahlen laßen und wegen der Exemplare die bey mir liegen seine Ordre erwarten.

Ich muß wegen dazwischen gekommener Abhaltung, da jezo die Post abgehen will schließen. Nächstens ein mehrers Adieu.

S.

den 11 März 58.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 125–128 (Auszug).

Anschrift

A Monsieur Bodmer Professeur trés celebre à Zurich.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Schreiben an Felix Orell.

Eigenhändige Korrekturen

ihm die Meße
ihm die Frankf Meße
gerne eine Abschrifft
gerne ⌈eine⌉ Abschrifft

Stellenkommentar

Brief an Hrn. Künzli
Sulzers ebenfalls am 11. März 1758 verfasstes Schreiben an Martin Künzli (SWB, Ms BRH 512/71).
einige artige Lieder
[J. W. L. Gleim], Preussische Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757. Von einem Grenadier. Mit Melodien, 1758. Viele der darin enthaltenen Lieder waren als Einzeldruck in zeitlicher Nähe zu den besungenen Ereignissen veröffentlicht worden. Einige dieser Einzeldrucke sind in Bodmers Bibliothek nachweisbar.
Geschichte dieses Krieges
Gleims Vorhaben wurde nicht realisiert. Vgl. Sulzer an Gleim, 27. Februar 1758: »Es ist mir sehr lieb, daß Sie die Hand an eine Geschicht dieses Krieges gelegt haben. Da es aber nicht zur Zeit unmöglich ist den Ursprung, den Fortgang und alle verwikelungen deßelben anders als überhaupt zu beschreiben, so wollte ich, daß Sie vorerst blos eine kurze Anzeige der Sachen gäben, und mit dem übrigen warteten, bis man Gelegenheit hätte, die besondern Umstände aus den Erzählungen der vornehmsten Befehlshaber zu erfahren.« (GhH, Hs. 4139).
der Pr. v. Pr.
August Wilhelm Prinz von Preußen.
ein paar sehr gute Offiziere
Vgl. Sulzer an Gleim, 27. Februar 1758: »Der junge Hr. v. Montigny und seiner Vetter, der Cap. Goußet sind bey mir gewesen und haben mich sehr gebeten Ihnen bald zuschreiben und ihre Ankunft in Berlin nebst tausendfältigen Grüßen bekannt zu machen. Es sind artige Leüte. Aber Montigny spricht bisweilen noch etwas jung. Er glaubt noch nicht, daß außer Frankreich Herrn sind, die den Franzosen in einigen Dingen überlegen sind. Vielleicht werden sie beyde in mein Haus einziehen, als denn könnten Sie noch einmal auf eine vergnügtere art, als ehedem, mit ihnen zusammen wohnen. Jezo wimmelt hier alles von gefangenen Offizieren darunter gewiß wenige sind über deren Bekanntschaft man Ursache hat zufrieden zu seyn.« (GhH, Hs. 4139).
Übersezung des Frühlings
G. P. Tagliazucchi, La Primavera, 1755.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann