Brief vom 28. Mai 1757, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 28. Mai 1757

Werthester Herr und Freünd.

Ich habe ihren Brief vom 19 May gestern erhalten und ohne ZeitVerlust den eingeschloßenen Wechsel presentirt. Der Fabr. Schwarz ist gegenwärtig nicht hier, sondern in Danzig auf der Meße, er wird aber in 9 Tagen wieder hier erwartet. Man macht mir keine Hofnung die Summe des Wechsels ganz einzubekommen. Ich werde, weil mir Leüthe, die diesen Mann sehr genau kennen Versichern, daß er ihn nicht bezahlen wird, so gleich anstallt machen ihn im Nahmen des Hrn. Orell zu verklagen, so bald er wird hier seyn, und werde alle mögliche Geschwindigkeit und allen Nachdruk dabey gebrauchen. Es ist aber auf allen Fall nöthig, daß man mir eine specificirte Rechnung schike, auf welche sich die Schuld gründet. Vielleicht werde ich sie nicht nöthig haben; allein da mir der Mann als ein abgefeimter Chicaneur beschrieben worden, so könnte er seiner Originial Briefe ungeachtet auf eine Rechnung dringen.

Ich mache mir ein Vergnügen daraus ihrem Hrn. Schwager zu dienen, den Sie versichern können, daß alles mögliche wird gethan werden, ihm so viel von seiner Foderung zu schaffen, als noch da seyn kann. Der Schwarz ist verwiechene Meße würklich in Leipzig gewesen, hat sich aber, wegen der Nachstellung verschiedener Creditoren nur 4 Tage daselbst aufgehalten. So viel hievon.

Aus Böhmen kann ich noch nicht viel neües melden. Nach einem sehr umständlichen Verzeichnis von unserm Verlust in der Schlacht bey Prag erstrekt sich der selbe auf 2900 Mann an Todten und gegen 7000 bleßirten. Der König hat Prag blos noch eingeschloßen weil erst vorgestern das schweere Geschüz hat anlangen können. Gestern bekamen wir die Nachricht, durch einen Courier den ich selbst gesprochen habe, daß ein Corps von 18 tausend Man der besten Truppen, nach dem sie sich entschloßen, es koste was es wolle, sich aus Prag durchzuschlagen, in einer sehr dunkeln Nacht einen Ausfall gethan, und auch sehr tüchtig wieder hinein getrieben worden, wobey sie sehr viel Volk verlohren. Bey dieser Gelegenheit ist der jüngste Bruder des Königs, Prinz Ferdinand, leicht bleßirt worden.

Der Herzog von Bevern steht mit 20 tausend man gegen die noch übrige Oesterreichische Armee, die sich nach Mähren zurükgezogen hat und noch gegen 40 t. Man stark ist. Es ist unglaublich, was für Gefangene unsre Trupen schon seit der großen Schlacht gemacht haben. Ein ganz kleines Corps Husaren und Schweere Reüter haben unlängst 3000 Oesterreichische Reüter auf einmal ohne Schwerdtschlag gefangen genommen. Man hoffet hier, daß dieser schnelle Fortgang und erstaunliche Glük den Frieden auch schnell herbey bringen wird.

Der Hr. v. Kleist hat zu seinem größten Verdruß noch keiner merkwürdigen That beygewohnt. Er ist als Major in ein anderes Regiment gekommen, welches noch jezo in Leipzig liegt. Seit kurzem hat er eine schweere Krankheit überstanden. Ich habe ihr Paquet über Leipzig erst vor 5 Tagen bekommen, nachdem das meinige, das Sie durch Hrn. Orell bekommen werden, schon abgegangen war.

Ich bin kaum zufrieden, daß Sie uns diesmal nichts gesungen haben. Den Frühling des Hrn. W. habe ich mit großem Vergnügen gelesen, und wundre mich jezo noch mehr, wie es zugegangen ist, daß dieses so schöne Stük hier unbekannt geblieben. Ich freüe mich zum Voraus auf seine Trauerspiele. Haben Sie schon Klopstoks sterbenden Adam gesehen?

Die Gesellschaft, welche einen Preis auf ein Trauerspiel gesezt hat, hat noch keines erhalten, wie ich aus dem 1 Theil ihrer Schrift sehe. Sie hat mir die Höfligkeit erzeiget, mir diesen theil zu schenken. Aber ich weiß doch würklich nicht wer sie sind. Aus verschiedenen Aufsäzen sehe ich, daß gute und aus andern, daß sehr seichte Köpfe darin sind. Von ihren Freünden den Nicolaiden kann ich Ihnen nichts sagen. Diese Leüte sind so weit aus meinem Gesicht entfernt, daß ich würklich kaum mit den Gedanken an sie reichen kann. Es kommt mir bald vor, daß sie die Verfaßer der Bibliothek der schönen Wißenschaften und fr. Künste seyen.

Heüte bekomme ich von Hrn. Gleim die neüen Fabeln, und 10 Rthlr. für seinen Beytrag zu den Minnensingern. Ich werde vor Johannis meine Abrechnung und Bestand nicht einschiken können. Ich werde wol schwerlich über 30 Rthlr. zusamen bringen, aber 25 habe ich doch würklich schon, auf die sie zählen können. Unser Manuscript vom Trojanischen Kriege ist eben das, [→]deßen Sie in den Freymüthigen Nachrichten erwähnen, wie sie aus beyliegendem sehen werden.

Hier hat jemand ein Gedicht in Hexametern, auf die Schlacht bey Prag gemacht, das noch etwas über das mittelmäßige hinauf steiget. Noch habe ich nicht wieder ersezt, was mir der kleine Brand an Papieren zu meinem Wörterbuche, geraubt hat. Ich sehe noch kein End von dieser Arbeit. Aber je weiter ich komme je mehr habe ich Hofnung daß es opus sui generis unicum seyn werde. Ich entdeke so gar in der Baukunst Regeln für den Poeten und in der Poesie für den Baumeister, und meine meisten Regeln werden auf alle Künste zugleich angewendet.

Die Ausgabe der Meßiade, deren Sie erwähnen, habe ich nicht gesehen. Wegen des Portraits von Hagedorn, werde ich nach Dresden schreiben.

Himmel, was für einen Nachfolger hat Hr. Zimmerman? Dieser kömmt mir durch diesen Contrast ungemein groß vor.

Ich stimme ihrem Urtheil über den Christen in der Einsamkeit bey. Mir scheinet es ein ganz mittelmäßiges Werk, das ich nicht durchlesen könnte. Es sind gar zu viel alltags Betrachtungen darin.

Ich hoffe, daß Hr. Wieland nicht anders nach Sachsen gehen wird, als über Berlin, ich gestehe dabey, daß ich eben keine große Meinung von den Conditionen habe, welche durch den Abt Steinmez angetragen werden. Die Leüthe deren Haupt dieser Mann ist, sind gar zu große Fantasten; sie suchen das größte Verdienst eines Menschen darin, daß er von sich selbst alles Böse denkt. Ich verharre

Ihr ergebenster Dr. Sulzer.

Berl. den 28 May 57.

Schreiben Sie mir doch, wie es eigentlich mit den Schweizer Regim. in franz. Diensten steht. Meine Frau empfihlt sich Ihnen bestens, sie ist wieder völlig gesund, und ich befinde mich bey meinem vegetabilischen Leben sehr wol.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen I 1807, S. 360 f. (Auszug).

Einschluss und mit gleicher Sendung

Vermutlich Abschrift des Manuskripts Trojanischer Krieg des sogenannten Pseudo-Wolfram aus der Königlichen Bibliothek Berlin.

Eigenhändige Korrekturen

7000 bleßirten
7000 Mann bleßirten
Hr. Wieland nicht anders nach
Hr. Wieland nicht ⌈anders⌉ nach

Stellenkommentar

Schlacht bey Prag
Zur Schlacht bei Prag vgl. Bremm Der Siebenjährige Krieg 2017, S. 136–142.
Prinz Ferdinand
Der 1730 geborene August Ferdinand Prinz von Preußen.
Herzog von Bevern
August Wilhelm Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Bevern spielte als militärisch versierter Generalleutnant eine wichtige Rolle an der Seite Preußens im Siebenjährigen Krieg.
keiner merkwürdigen That beygewohnt
Vgl. Sulzer an Kleist, 22. Mai 1757: »Hüten Sie sich doch um des Himmels willen für allen Gelegenheiten, die Ihre nicht starke Gesundheit in Gefahr setzen! Der König und das Land hat Männer Ihrer Art jetzt gar zu nöthig. Mir ist es wirklich lieb, daß Ihr Schicksal Sie für einige Zeit von dem Schauplatze des Mordens entfernt hat. Wie elend ist de Quede gestorben! Ihr Rang bei der Armee ist noch nicht groß genug, daß die Ehre, die Sie den 6. Mai hätten erwerben können, oder die Dienste, die Sie würden gethan haben, Ihres Lebens werth wären. Der Himmel lasse Sie nicht eher in Gefahr kommen, bis daß Sie wie Schwerin sterben können!« (Sauer (Hrsg.) Briefe an Kleist 1880, S. 205). Zum Tod Kleists 1759 mitten im Kriegsgeschehen nach der Schlacht bei Kunersdorf siehe Brief letter-sb-1759-09-22.html.
Gesellschaft, welche einen Preis auf ein Trauerspiel gesezt
Vgl. [F. Nicolai], Abhandlung vom Trauerspiele. In: Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, 1757, Bd. 1, St. 1, S. 17–68.
vom Trojanischen Kriege [...] deßen Sie [...] erwähnen
Freymüthige Nachrichten, St. 4, 26. Januar 1757, S. 30.
Gedicht in Hexametern, auf die Schlacht bey Prag
Anonym, Zufällige Gedanken über die Schlacht bei Prag vom 6ten Mai 1757, 1757.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann