Brief vom 27. November 1756, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 27. November 1756

Mein werthester Hr. und Freünd.

Endlich ist die Nachricht von Hrn. Reich dahin eingelauffen, daß der junge Hr. de Tournes in die Waidmannische Handlung kömmt, und also für Hr. Heidegger kein Plaz mehr übrig ist. Sie können nun nach dem, was ich in meinem lezten Brief mit Hrn. Reichs eigenen Worten geschrieben habe überlegen, ob sie ihn in eine andere Buchhandlung in Leipzig thun wollen. Hr. Reich verspricht seine Dienste ihn so gut, als möglich ist unterzubringen. Hierüber erwarte also ihre Entschließung. Es geht mit dem Absaze der Fabeln etwas langsam. Ich habe zwahr etwa 80 Stük an die Subscribenten ausgetheilt und die übrigen einzeln verkaufft, aber die Nachrichten von den Subscribenten gehen langsam ein.

Auf der hiesigen Königl. Bibliothec sind auch verschiedene Codices Msti. von deütschen Poesien, darunter ein paar aus dem 13 Jahrhundert. Der eine ist eine Historie des Trojanischen Krieges, und aller Helden deßelben von der Geburth des Paris an, bis auf den Tod des Egisthus. Der andere, welcher sehr sauber geschrieben ist enthält die Historie von Floren und Blanchefleur aus dem Original eines (vermuthlich Provanzalen) Robert von Urbinte übersezt.

Der Hr. v. Arnim möchte wißen, ob ihm würde verstattet werden Murners Leviathan der auf der Züricher Bibliothek ist, abschreiben zu laßen. Vergeßen Sie nich in ihrem ersten Brief, mir hievon Nachricht zu geben.

Neüigkeiten von dem Krieg haben wir sehr wenig, seit dem die Truppen in den Winterquartiren sind. Alles was die Oestereicher von ihren Großen und kleinen Siegen durch die Zeitungsschreiber ausstreüen sind fanfaronaden. Sie sind so schüchtern, daß sie sich sehr selten an unsre Truppen wagen, und dann allemal den kürzern ziehen. Eine von den Hauptsächlichsten Ursachen, warum Braun den Sachsen nicht beßer geholffen hat, war diese furcht. Denn es sind ihm 2000 Mann davon gelauffen, als sie ins Gesicht von unsern Postirungen kamen.

Eben so falsch ist es auch, was die Zeitungen von der Verheerung sagen, die unsre Armee in Sachsen machen soll. Das Land giebt seine Abgaben, so wie es sie dem König von Pohlen gegeben hat. Nur daß die Armee des Königs die Winterquartiere daselbst nimt, welches nicht anders möglich war, da in Böhmen gar keine Lebensmittel übrig, und die Zufuhr aus Sachsen dahin im Winter unmöglich ist. Hier im Lande fühlt man vom Krieg so wenig als Mitten im Frieden. Nur, daß das Brod etwas theüer ist.

Der König hat verwiechenen Sonntag in Dreßden dem Lutherischen Gottesdienst beygewohnt und den Superintendent ersuchen laßen seine Predigt druken zu laßen.

Das ist alles, was ich Ihnen von politischen Neüigkeiten melden kann. Denn seit vier Wochen ist kein Schuß mehr geschehen. Empfehlen Sie mich unsern gemeinschaftlichen Freünden.

Ich verharre

Ihr ergebenster Dr.
Sulzer.

den 27 Novemb.

Hr. Noltenius ist als zweyter Prediger nach Breßlau beruffen worden.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen I 1807, S. 357 f. (Auszug).

Anschrift

A Messieurs Orell et Compagnie Libraire pour Mr le Professeur Bodmer à Zurich frco Nrnberg.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers am unteren Rand der ersten Seite: »Ist vielleicht das Gedicht von Helena dessen Conrad von Wyrzburg gedenkt.« – Siegelreste.

Eigenhändige Korrekturen

König hat
König ist hat

Stellenkommentar

junge Hr. de Tournes
Nicht ermittelt. Vermutlich stammte der Lehrling aus der Lyoner Verleger- und Buchdruckerdynastie de Tournes.
Murners Leviathan der auf der Züricher Bibliothek
Bei Murnarus Leviathan Vulgo dictus Geltnar oder Genß Prediger handelte es sich um eine um 1521 von Nikolaus Gerbel verfasste Schmähschrift gegen Thomas Murner.
Braun
Der irischstämmige österreichische Feldmarschall Maximilian Ulysses Reichsgraf Browne.
seine Predigt
Predigt am drey und zwanzigsten Sonntage nach Trinitatis, 1756, des Dresdner Superintendenten Johann Joachim Gottlob Am Ende.
Hr. Noltenius ist als zweyter Prediger
Vgl. Noltenius' Schreiben an Breitinger vom 5. Oktober 1756 (Kommentar zu Brief letter-sb-1756-05-11.html).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann