Brief vom 30. März 1753, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 30. März 1753

Werthester Herr und Freünd.

Ich bin nun wieder stärker als jemals in Geschäffte verwikelt die mir das Schreiben schweer machen. Ich möchte gerne mein Tusculum vor dem Sommer völlig fertig machen, und dieses allein wäre genugsam mir die Lust und Zeit für andre Arbeit zu benehmen. Dazu kommen noch verschiedene zufällige Begebenheiten, die meine Aufmerksamkeit erfodern. Unter andern hat der Academische Krieg mit Hrn. König mir auch etwas zu schaffen gemacht. Voltaire, der wie es scheint seinem Rival den Todt geschworen hat, hat den ganzen Winter nichts gethan, als Briefe und Memoires und Satyren gegen ihn zuschreiben. In einem Mem. das er an den König geschikt hat, sagt er ich habe öffentlich gegen das Jugement (contre ce brigandage wie er sich ausdrükt) protestirt. Man hat mich im Verdacht gehabt, als hätte ich mit Voltaire causam communem in der Sache gemacht p. p. Dieses hat mich bewogen um mich aus dem Verdacht einer odieusen Sache herauszuziehen Voltairen ein Dementi in der Zeitung zugeben, weil in der that meine Einwendungen gegen das Jugement keine Protestation gewesen. Dieses hat mich bey der andern Parthey, die wie es noch bis dahin scheint die stärkste ist, wieder ein wenig in Gunst gebracht. Voltaire hat seit 3 Monat den König nicht gesehen und beständig um seinen Abschied angehalten: aber vergeblich. Seit 3 Tagen ist er wieder in Potsdam, und nun erwartet man hier mit einiger Aufmerksamkeit die Folgen dieser Entrevue. Es scheinet wol kaum möglich, daß der König diese zwey Männer zugleich an seinem Hofe werde behalten können. Die Academie wünscht sehr, daß diese Unruhe einmal möchte vorbey seyn. Aber so viel ich vorsehe, wird der Krieg heftiger werden, als er jemals gewesen ist. Der Hr. Euler hat eine Schrifft druken laßen, die nicht nur Hrn. König persönlich, sondern auch alle unpartheyschen Kenner der Materie davon die Rede ist äußerst aufbringen wird. Ich habe alle meine Kräffte nöthig um bey der Sache die Neutralitæt zu beobachten.

Sie mein werther Freünd, werden mit ihrem Wieland goldene Tage genießen und solchen großlärmenden Kleinigkeiten gelaßen zusehen. Sie sollten wol für ihre Abwesende Freünde, die vielleicht verdienten bey Ihnen zu seyn ein Tagregister ihrer Gedanken und Arbeiten machen. Hr. Künzli billiget den Vorzug den Sie Wielanden vor Kl. geben ungemein. Was für Freüden stehen mir durch die Reise dieses Freündes bevor? Was für Herrliche Tage, die er in mein Haus bringen wird!

Ich erwarte mit Ungeduld ihre neüen Gedichte; denn hierin allein bin ich unersättlich. Haben Sie sie denn an Hrn. Reich geschikt? Ich hoffe doch, daß die bevorstehende Meße uns was von Ihnen bringen wird. Ich muß Sie wegen einer Sache um Vergebung bitten. Ich habe einen Brief von Ihnen an Hagedorn ganz vergeßen und erst vor 2 Tagen von ohngefehr wieder gefunden. Ich habe ihn vermuthlich im vorigen December mit dem Schreiben über die Würde eines schönen Geistes bekommen, und nun soll er mit der ersten Post abgehen. Ich vergeße alles, seit dem ich mich in Weltgeschäffte herein gelaßen. Aber jezo eile ich mit gigantischen Schritten wieder zur Ruhe. Ich werde in 4 Wochen mein neües Hochgedachetes Haus beziehen, dahin werde ich suchen die Musen in den Schatten der orangen Bäumen wieder zu mir zu loken, und diese sollen mir die angenehme Stille des Gemüthes wieder geben, die der Lerm der Klopfenden Zimmerleüthe und Maurer vertrieben hatten.

Voltaire ist endlich mit Erlaubniß des Königs auf einige Monate Verreiset. Man zweifelt ob er wieder kommen wird. Haller hat seine Academische Krone niedergelegt und ist von Göttingen weggezogen. Man erwartet ihn hier. Er würde jezo gerne annehmen, was er vor 3 Jahren ausgeschlagen. Aber es dürffte wol zu späthe seyn.

Hr. Gleim ist Bräutigam und unglaublich verliebt, in ein Mädchen gegen dem die Fannys, Clarissen und Pamelen nichts sind. Ich höre daß Ramler an einem Comischen Gedicht über das Schachspiel [→](ni fallor) arbeitet. Was für ein edler Inhalt, wenn man ihn gegen den Noah, die Sündfluth p. vergleicht. Nun werde ich mich noch eine kleine Weile mit ihrem Wieland unterreden. Ich umarme Sie von ganzem Herzen.

Sulzer.

den 30 März 53

Es war ein Mißverständniß, da man sagte er wäre ganz von Göttingen weg. Er hat nur seine Tochter eilends nach der Schweiz gebracht, weil ein Ungarischer Graf Tekeli sie ihm entführen wollen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 196–199 (Auszug).

Stellenkommentar

mein Tusculum
Sulzer nannte sein Haus und Garten in Anlehnung an den Ort in den Albaner Bergen bei Rom und an antike Villen (u. a. Ciceros bekanntes Tusculanum) Tusculum. Vgl. auch seinen Brief an Künzli vom 7. September 1752: »Ich hoffe diesen Winter mit meinem Hausbau fertig zu werden. Aber ich werde mit einem unvollkommenen Vergnügen darin wohnen, wenn ich Sie nicht auch einmal darin werde sehen können. Kommen Sie doch bald, wir wollen ein ander Tusculum daraus machen.« (SWB, Ms BRH 512/72). Vgl. Kittelmann Botanisches und gartenbauliches Wissen in Sulzers (Brief-)Werk 2018.
als Briefe und Memoires und Satyren gegen ihn zuschreiben
Voltaire griff seinen Widersacher und Rivalen Maupertuis u. a. in der satirischen Schrift Diatribe du Docteur Akakia an, die, um die Akademie und ihren Präsidenten zu schützen, von Friedrich II. schließlich verboten und öffentlich verbrannt wurde. Über Holland wurde die Schrift, die Maupertuis viel Spott einbrachte, dennoch europaweit verbreitet.
Voltairen ein Dementi in der Zeitung
Sulzers auf den »9. Märtz 1753« datierte Erklärung in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 10. März 1753, Nr. 30, S. 129.
eine Schrifft druken laßen
L. Euler, Dissertatio de principio minimæ actionis, 1753. Die Schrift erschien zweisprachig mit lateinischem und französischem Text und behandelte auch die Einwendungen Samuel Königs gegen Maupertuis und Euler.
Brief von Ihnen
Nicht ermittelt.
Gleim ist Bräutigam
Gleim informierte in dieser Zeit zahlreiche seiner Freunde in Briefen, dass er verliebt sei und Heiratsabsichten habe. Bei der Auserwählten handelte es sich um Sophie Mayer, Tochter eines Bergrates in Blankenburg, mit der sich Gleim einem Brief an Uz zufolge am 15. März 1753 verlobt hatte und die er am 2. Mai heiraten wollte. Die Hochzeit kam jedoch nicht zustande. Gleims Version zufolge scheiterte die Verbindung am Widerstand des Brautvaters. Vgl. zu den näheren Umständen Körte Gleims Leben 1811, S. 68–70. – Koschorke Verschriftlichung der Liebe 1994. – Sulzers Brief an Gleim vom 24. März 1753, in dem er ihn mit »Mein lieber Herr Bräutigam« anredet (GhH, Hs. A 4127).
Comischen Gedicht
[K. W. Ramler], Das Schachspiel. Ein Heldengedicht, 1753. Vgl. dazu Holländer Ramler und die Schachkultur des 18. Jahrhunderts 2003.
ni fallor
Übers.: »wenn ich mich nicht irre«.
Graf Tekeli
Verschreibung Sulzers. Gemeint ist Graf Paulus Teleki von Szék.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann