Brief vom 19. Dezember 1752, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 19. Dezember 1752

Mein werthester Herr und Freünd.

Ihr lezter Brief kam eben zu der Zeit, da Hr. Reich Director der weidemannischen Buchhandlung bey mir war, dem ich also gleich ihren gewiß uneigennüzigen Antrag gethan, der ihm auch wol gefallen hat; ausgenommen, daß ihm das Ziel von 2 Jahren zu neüern Auflagen zu kurz schiene. Er glaubt es könnte mehr als 2 Jahr währen ehe die ganze Auflage abgesezt wäre. Allein ich sehe wol, daß die Sache sich wird Traktiren laßen, und ich werde Ihnen noch unten in diesem Brief das nähere sagen. Ich freüe mich ungemein auf diese neüen Stüke, und sie werden eine neüe Gelegenheit seyn, Sie nicht blos als einen Dichter, der Ruhm sucht, sondern als einen Philosophen und Menschen Freünd, zuzeigen. Meine freüde wird aber auf der andern Seite wieder vermindert, wenn ich betrachte, wie wenig dank die deütsche Nation Ihnen für ihre Bemühungen zeiget. Es wird Ihnen wie Milton und Columbo gehen. Mich dünkt wir Verfallen nach und nach in den Geschmak der Franzosen, die mit der Poesie blos spielen würden, wenn nicht noch die Tragische Schaubühne sie bisweilen ernsthaft machte. Ich habe eine ungemeine Begierde etwas von ihrem Trauerspiel zu sehen. Schiken Sie mir doch wenigstens ein paar Scenen.

Es ist mir doch angenehm, daß Sie den redlichen Kleist kennen gelernt haben. Wenn es mit guter Manier anginge, daß Sie ihm die ganze Klopstokische Geschicht recht aufdekten, so könnte es vielleicht gute würkung thun, aber die Sache ist überaus delicat. Gl. Raml. und die Braunschweiger würden, wie ich glaube den Noah nicht verachten, wenn sie nicht dadurch Klopstoken zu rächen glaubten. Alle halten ihn für ein Muster eines rechtschaffenen Menschen, und die so nicht ihrer Meinung hierüber sind, für Menschen Feinde p. So viel ich mich von Hrn. Heß erinnere, hat Gl. gesagt, Sie hätten Klopst. ehemals geschrieben, er soll Ihnen ihre Doppien bey der allgemeinen Auferstehung wiedergeben, und dieses wäre nun freylich so viel gesagt, als gar nicht.

Ich wundre mich gar nicht darüber, daß Kleist so sehr viel von Ramlern hält, so lange man ihn nicht aprofondirt hat, so liebt man ihn und hat die Gefälligkeit für ihn ihm zu glauben, was er indirecte immer von sich selbst sagt, daß er der erste Dichter und Kunstrichter ist. Er hat in der That in beyden Absichten viel Meriten, die er aber durch einen mir unerträglichen Hochmuth verderbt. Anbey hat er nicht genug gelesen, weil er die andern Kunstrichter verachtet, und ist auch nicht philosophisch genug um große Absichten zu haben, die allein einen Poeten recht groß machen. Ein Trinklied, daß nach allen Regeln seiner Critik auf das beste gemacht ist; wird ihm immer wichtiger seyn, als ein Heldengedicht, in welchem seine Regeln ofte überschritten werden. Dieses folget auch nothwendig aus seinen Grundsäzen; denn er hat gegen mich ehedem behauptet, daß das Kunstrichterische Vergnügen, die einzige Absicht der Poesie sey. Daher muß er im Noah nothwendig einen großen Theil des schönen übersehen. Seine Critik über die 2 ersten Gesänge verrathen seine principia ziemlich. Deßen ungeachtet muß ich gestehen, daß er überaus schöne Sachen gemacht hat. Es sind aber bloße Fragmente, und der Wiz und die Imagination sind immer größer darin, als der Verstand.

Es ist mir nicht lieb, daß Sie Wielands Vorhaben, eine Critik des Noah zu schreiben, bekannt gemacht haben. Es wäre meines Erachtens von weit größerer Würkung gewesen, wenn der Verfaßer ganz unbekannt geblieben wäre. Aus Hallern kann ich nicht klug werden; Er hat als ein Dichter etwas von dem Carakter der Könige, die nach einer langen Regierung abdanken und Mönchen werden. –

Kleist hat ehedem gesagt, man würde nach 500 Jahren für den Noah eben so viel Hochachtung haben, als für die Ilias und die Æneis. Ich weiß nicht was er jezo davon hält. Gleim und Ramler haben im Anfang ungemein viel daraus gemacht, jezo weiß ich, daß sie darüber spotten. An allem diesem ist die Klopstokische affaire Schuld. Weil ich überzeüget bin, daß Sie mehr auf den Nuzen sehen, den ihre Werke mit der Zeit stifften werden, als auf den gegenwärtigen Ruhm, so werden Sie sich ihrer Arbeit nicht reüen laßen.

Ich muß schließen ehe ich Hrn. Reich wieder gesehen habe. Die Sache wird indeßen schon zu ihrer Richtigkeit kommen. Schiken Sie immer ihre Schrifften zur Meße. Ich werde Gelegenheit haben Ihnen bald die lezte Abrede mit Hrn. Reich zu berichten. Empfehlen Sie mich Hrn. Wieland, Kleist, Breitinger und Heß. Ich verharre

Ihr
ergebenster Dr.
Sulzer

den 19 Decemb. 52.

Eben jezo ist Hr. Reich noch bey mir gewesen. Er sagt er wolle nur 1000 Exempl. druken, die er in 2 Jahren abzusezen hoft. Sollte er ja etwas länger davon haben, so meint er würde es Ihnen auf ein halb Jahr nicht ankommen. Er erwartet, daß Sie ihm ordre wegen des Formats schiken. –

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Stellenkommentar

Gl.
Gleim.
aprofondirt
»vertieft«, hier für »intensiver« oder »näher kennengelernt«.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann