Brief vom 12. Oktober 1746, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Datum: 12. Oktober 1746

Mein Herr und werthester Freünd.

Ich warte schon seit drey Wochen, wie ein ungeduldiger wartet auf Briefe und andre Sachen von ihnen, ohne etwas zu erhalten. Nun kann ich nicht länger warten, ohne an Sie zu schreiben, weil ich sonst die Gelegenheit der Meße versaümen müßte.

Hr. Lange wird ihnen ohne Zweifel seine Horazische Oden gedrukt schiken. Ich bin begierig ihr urtheil von dieser Sammlung zu hören, und wenn ich ihnen meines sagen därff, so geht es dahin, daß bona mixta malis sind. Wenn Hr. Lange mir gefolget hätte, so wären verschiedene Stüke weggeblieben, welche meines Erachtens eben nicht die schönsten sind. Z. E. Lob der Schweizer, Ode an Hrn. Heß, Lob des Höchsten p. Wie er mir das erste mal die Ode, Schöpfung der Freüde betittelt gelesen hat, so zwang ich ihn mir zu versprechen, kein schlechteres Stük, als dieses ist, in die Sammlung einzurüken. Sie können nun selbst urtheilen, ob er sein Versprechen gehalten hat. Sollten Sie etwa ohngefehr dieselbigen Gedanken, wie ich von dieser Sammlung haben, so ersuche ich Sie, es Hr. Langen etwas deütlich zu verstehen zu geben, damit er, wo möglich etwas behutsamer gemacht wird und ins künfftige seiner Freünde Rath braucht. Dieses ist ihm sehr nöthig, weil er etwas hizig ist. Bey dieser Sammlung war der Hr. M. Meyer sein einziges Oraculum, was er verworffen ist vertilget, und was er gut geheißen soll ewig schön bleiben.

Neben ihrem allgemeinen Urtheil, wollte ich mir insbesonder ihr Urtheil über folgende zwey Oden ausbitten. 1. Einladung an Hrn. Germershausen, 2. der Doris Ode an Hr. Heße. Ein anderer Freünd urtheilet mit mir, daß in der ersteren Ode keine Unitas, sondern, daß es eigentlich zwey oden sind, von der andern aber, daß der Sprung von der Schöpfung und Sündfluth zu groß und ein wenig ausschweiffend sey.

Hr. Gleim befindet sich nicht in den besten Umständen. Er ist noch immer ohne Bedienung, das Glük verfolgt ihn und er kann sich nicht unter das Joch schmeigen, so es ihm an droht. Er wird daher, wie er selbst sagt, zu allem Denken u. zu aller Arbeit unaufgelegt. Er muß es nothwendig bey einigen Großen verdorben haben. Er läßt sich entschuldigen, daß er ihnen nicht schreibt.

Einige seiner alten bekannten, darunter Hr. Uz aus Anspach ist, haben eine Übersezung des Anacreons herausgegeben, die Sie ohne Zweifel werden gesehen haben.

Sonst ist mir aus der Gelehrten Welt sehr wenig bekannt. Ich schike an Hrn. Waser einen Brief, den Hr. Sak an mich geschrieben, der einen Vorschlag, wegen der beyden Hrn. Landolt aus Zürich, die nach Berlin wollen, enthält. Ich ersuche Sie, Hrn. Waser deshalb zu sprechen, und mit ihm zu überlegen, was etwa in dieser Sache geschehen könnte. Ich habe keinen Augenblik übrig meinen Brief länger zu machen, aus Furcht er möchte liegen bleiben. Ich verharre mit großer Hochachtung

Meines Herrn und Freündes

ergebenster Dr.
JGSulzer

Magdeb. den 12 Octob. 46.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

Herrn J. J. Bodmer hochberühmten Profeßor und Mitglied des großen Raths in Zürich.

Vermerke und Zusätze

Siegelausriss. – Siegelreste.

Eigenhändige Korrekturen

möchte liegen
möchte gar liegen

Stellenkommentar

Hr. M. Meyer
Zu Georg Friedrich Meier vgl. Kommentar zu Brief letter-bs-1744-00-00.html.
Übersezung des Anacreons
Johann Peter Uz und Johann Nikolaus Götz arbeiteten gemeinsam an der Übersetzung, die Götz ohne die Autorisierung von Uz unter dem Titel Die Oden Anakreons in reimlosen Versen 1746 herausgab. Vgl. dazu Kertscher Anakreontik 1993, S. 72 sowie Öhmichen Johann Nikolaus Götz 2017, S. 127–133.
schike an Hrn. Waser einen Brief
Nicht ermittelt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann