Brief 6. – 14. März 1767, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 6. – 14. März 1767

Ihre Begriffe von griechischen tugenden sind so gar nicht in unsrer denkungsart, daß ich selbst sie nur leise denken darf. O Künzli, daß ich doch in deiner stube mit dir und W–s–r noch frey denken u. reden dörfte! Aber der theure Freund ist nicht mehr, und Sulzer ist durch provinzen von mir entfernt!

Hören sie, mein liebster, wie W–s–r nach Künzli seufzet: Wenn dergleichen Zufälle, wie die M–ll– – sind, kommen so bin ich je länger je mehr meinen eigenen Gedanken und Sorgen überlassen, und fühle den Verlust unsers Künzlis. Möchte er doch! – – Er kannte den Menschen und seinen Charakter bestimmt. Was hätte er von Mitleiden gerührt wol nicht – geredet und gethan! Was von den Aussichten für das Vaterland, für künftige Zeiten, für wolgeschaffene gemüther p.p. Was hätte er nicht alles bedauert, sich und andere gestählet, und unsere schwachen sorgen mit uns getheilt, daß wir den Gift derselben wenigstens nicht in seiner ganzen stärke empfunden hätten. Oh! Daß es nur nicht eine vorläuftige Vorbereitung zu königl. Schuz und Schirm sey! Daß es Vertrauen und Eintracht pflanze, wenns möglich ist! Daß es von Weisheit und republicanischer Milde zeuge! Daß es glük und segen über uns und unsere Kinder bringe! – So hätt'er gewünscht, wiewol kaum gehoffet, und wir hätten seinen frommen Wünschen beygestimmt.

Indessen irrt – – – ohne Geld und ohne Empfehlung im Exilio herum, sein äusserliches verspricht nichts von dem innerlichen Schönen. Man darf ohne verdacht nicht sein Freund seyn. [→]La vie d’un homme peut donc ètre la victime d’un instant d’imprudence! La bonne intention peut avoir les suites les plus funestes. On pardonne aux sourdes intrigues du crime, on ne pardonne point aux efforts de la vertu. La morale du monde a donc raison de dire: soyez laches et prudens, et vous serez au dessus des loix, et vous vivrez au gré de vos caprices et de vos passions.

Ich hatte kaum das Herz, diese Empfindungen dem papier zu vertrauen. Auch der Erinnerer ist proscribirt, nemlich diese Wochenschrift ist aufgehoben, und wer künftig ein moralisches Blatt schreiben will, muss die Erlaubniß bey dem kleinen Rath erhalten. Er hatte moralische Charakter geschildert, die zu applicabel waren. Ich habe vor etlichen jahren ein politisches Drama geschrieben, die gerechte Zusammenschwörung, man murmelte, daß ich die Empörung gebilliget hätte; es war aber die Empörung von Uri, Schwyz und Unterwalden. Izt darf ich mich nicht unterstehen, meinen Marcus Brutus einem Verleger zu geben. Was vor vortreffliche arzneymittel für Sie, mein liebster Sulzer, für mich, für W–s–r, wären unendliche Unterredung, persönliche gegenwart! Izt müssen wir selbst uns in den schatten des Cabinets aufmuntern, wir müssen den Geist durch die früchte des Geistes selbst erheitern; es kömmt uns wol, wenn wir die Gabe haben, ut nobis ipsi plaudamus.

Ob einer gleich mit Empfindung Tugend und Wahrheit schreibt so darf er sich doch auf Beyfall und gute Wirkung wenig rechnung machen. Nur gleichgestimmte saiten empfinden mit. Aber die meisten sind verstimmt, und empfinden nicht. Wer wollte es ihnen auch zumuthen? Wenn sie auch sagten sie empfänden, und sie empfinden doch nicht, wer wollte so schwach seyn sich damit zu kizeln?

Es ist geredt worden, daß man die Helvetische Gesellschaft, die sich auf der Gerber versammelt habe, aufheben wolle. Man hat doch Bedenken gehabt. Sie besteht aus 30 und mehr Mitgliedern; die meisten sind personæ mutæ und Consonaten, die sich keine angelegenheit aus unsren geschäften machen. Andere haben anstatt Grundsäzen allein Maximen und für jedes problem eine eigene.

Hr. Ott sagt mir, daß er zu den arundinibus einen Brief gelegt habe, den sie sehr vermuthlich in dem sand haben verscharrt liegen lassen. Das grosse Werk Sur la population de l’amerique ist von Engel, der doch nicht gern genannt seyn will, weil die Berner die Autorschaft eines rathsgliedes unwürdig halten. Ich hätte sein System in die Noachide brauchen können. Die Erde, die von cörperlichen Engeln bewohnt gewesen, dann ein Chaos geworden, drauf umgeschaffen, und Adam zu besizen gegeben ward, ist mehr als poetisch.

Gleim könnte wol sich selbst sagen: solve senescentem – Da er selbst nicht mehr kann, wird er ein Kuppler. Anacreon ist gegen ihn ein Moralist.

Ramler ist weder ein sittenlehrer noch ein Wollüstling, wie Horaz beydes ist. Der König müßte Alexanderns Chörilusgeschmak haben, wenn er ihn zu seinem Leibpoeten machete.

Die von Neufchatel wollen die griechen von Genf nachahmen. Ich hoffe, daß man ihnen weniger Stof geben werde. Der mörderische General Travers in Bünden findet soutien. Die catholischen und die Sprecher bedienen sich diser gelegenheit ihren groll gegen die Reformirten und die Salis auzulassen. Man stellt sich gegen einander in Waffen.

Wenn wir von Choiseuil erhalten, daß die Explicationen nach unsrer Instruction gemacht werden so leidet immer die Republik und die souverainetät eine Eclipse. Er ist ganz erzörnt und hält seinen König an der substanz seiner Ehre beleidiget. Und diese beleidigung ist der 15te Xb. der tag an welchem ein Britte und ein S. griechische Tugend entdeken möchten. Aber Choiseuil hält die Conseillers für Aristiden und die Commissaires für Demagogen, Verführer, Criminels, die eine democratie einführen wollen, welche Anarchie wäre. Er hält die anderen Representanten für vile populace, welchen die drey oder vier Häupter der demagogen selbst zu glauben geben was sie wollen. Er sieht weder Einigkeit noch Ruhe noch sicherheit noch ordnung in der Republik wenn diese nicht fortgeschaffet werden. Ich fürchte, sie die Demagogen werden in dem Werk, das izt in Solothurn negotiert wird, von der Amnistie ausgeschlossen werden. Werden ihre Constituanten dises zugeben, und wenn sie sich widersezen, werden wir sie dazu zwingen müssen? Er leget ihnen sehr zur last, daß sie in der requête vom 30sten Jenner, die Hennin ihnen abgenommen und damit eine reprimande von seinem Hofe gewonnen hat, apologetica einfliessen lassen, und sie nicht für Criminels dargelegt haben.

In den Cantons hält man überhaupt die Conseils für untadlich und an ihren Attributs gekränket; und man hat so viel Ehrfurcht oder Furcht vor dem König, daß, wenn man gleich anders dächte, man den Königlichen begriffen nicht widersprechen darf. In Bern vermehrt sich doch die partey die mit der Tronchinaille unzufrieden ist. Die Conseillers sind von Composition unter sich selbst ganz entfernt, sie verlassen sich auf Choiseuil und die decisionen von der Mediation. Die von ihnen besser denken, werden entrainirt. Breitinger hat Vernet und der Chorherr Geßner dem sindic Jallabert Vorstellungen gemacht; Jallabert hat wie ein ehrlicher Mann, der noch empfindet, Vernet wie ein politischer Priester geantwortet.

Dr. Hirzel ist beynahe der einzige, der in unserm großen Rath für die Rechte des Cl. gen. redet. Er thut es mit einem Eyfer der ihm ein Gallenfieber angedroht hat. Er sollte so vorm jahre geredet haben, aber er hat sich erst seit wenigen monathen fest gemachet. Die Citoiens hatten gehoffet, daß die britten sich ihrer annehmen würden; aber man hört, daß die britten den Cantons die Ehre thun zu glauben sie seyn für sich herzhaft genug die Independenz von Genf zu retten. Doch man muß öfters zweifeln, ob nicht bey den britten selbst die despotischen begriffe die Oberhand haben. Was soll ich sagen; wir sind unter uns noch nicht eins, ob unser Canton mit dem petit und grand Conseil oder mit dem Cl. Gen. allirt sey; ob der Souverain in Genf der petit Cl. der grand Cl. oder der Cl. general sey, ob die Souveraineté nicht unter alle diese getheilt sey; bisher hat diese leztere meinung die Oberhand gehabt.

Es scheint immer daß Frankreich bey diser gelegenheit Genf und der Schweiz die flügel beschneiden will, vornehmlich die flügel des commerce, denn es redet immer von der neuern commercial route, die von Lion auf Pontarliers, und von da nach Basel in die Schweiz gehen soll. Man verheißt uns dise Strasse bequemer und wolfeiler zu machen. Bern würde dadurch am meisten vernachtheiligt. Aber Genf müßte am meisten leiden. Ich sehe doch keinen grössern Fehler an den Citoiens, als daß sie nicht nach den Begriffen Frankreichs glüklich seyn wollen. Sie wollen ihren eigenen Einsichten von Wolfahrt und Glük folgen. Und diese Wolfahrt finden sie in ihrer alten Constitution, wenn sie nicht gezerret wird. Aber die mächtigern sind so ungebeten gütig, daß sie den Kleinern, Regeln von Glük freundschaftnachbarlich gebieten. Also hat die Czarin Curland glüklich gemacht, und so will sie izt Pohlen machen. Und wäre es nicht, alles zusammen genommen ein Glük für Pohlen, wenn sie den Dissidenten zur Gleichheit mit den Catholischen hülfe, wenn sie über dieses die leibeigenen in freiheit und Eigenthum sezete, wenn sie zulezt die Königswürde erblich machete, und endlich Stanislaus den II. heurathete? Aber wie komme ich hierzu?

Hier haben sie die ganze Ode:

God said to Frederic: be the first of names,
Let fame thy feats in thunder tell the age,
Posterity reecho, for I add
To Laurels blood and Voltaire to thy heart.
He turnd to Lewis, from th'alldazzling look
The Mock-King shrunck: When Gauls Sty Dæmon thus;
Thy Fate damns france, there let him rule and add
A Bourbon brain, bigotry, Pompadour.
The shrieks of mangled Colombona have
Their fill – shall be avengd – let lisbon howl,
And mourning Joseph till Iberia ripens
Share earthqueaks, daggers, inquisitions, priests.
His nod calld me: I trembled lest a throne
Should be my lot – but midly, smiling He:
Take thou thy wish – the genial mind, the tear,
Thy friend be Bodmer and thy mistres, –

Ich sehe nicht, was Gauls Sty dæmon in der Zweiten Strophe zu thun hat. Und die furcht lest a throne ist elend hochmüthig. Aber wie klein das Ende: Bodmer and a Mistress!

Lauson hat ein Recht auf Spandau oder Waldheim.

Lassen sie sich gegen beygeschlossene Assignation eine Calliope von Voss geben. Aber wo sind die sich mehr als unsere heutigen Charakter vorstellen können, die kraft ihres natürlichen Hanges für Unschuld, keine Mühe haben ihre phantasie in patriarchalische Zeiten zu versezen und da das Vergnügen einzusaugen, welches ihnen durch die blosse Einbildung wirksamer wird als die Wollust, die man ihnen durch die sinnlichen Vorstellungen der izigen nicht Unschuld, nicht Einfalt zu machen sucht? Wie gewaltsam werden nicht dem menschl. Geist seine natürlichen Ressorts gehemmt, und verdunkelt was sonst licht seyn würde!

Wenn es seyn kann so schike ich ihnen durch die Messe die Acta Schinznacensia vom May 1766. Es ist schlechtes Zeug. Ich umarme meinen liebsten Wegelin, sagen sie ihm der Abbas Celestinus II. sey Todes verblichen.

Nach der gestrigen Depeche von Solothurn erstrekt Choiseuil das Recht der Garantie auf die Decision über alle, großen und kleinen Artikel der Constitution der Republik Genf; selbst über die us und usages, ob diese vim legum haben sollen oder nicht. Wir haben uns dagegen gestärkt, daß wir die Independenz der Republik retten wollen, soviel wir können. Gott wolle, daß wir persistiren. Es sind noch gar zu viele, welche sagen, was können wir gegen die macht von Frankreich, und: wolle Gott daß des Königs Grösse ihm zulasse, sich eines beßern zu besinnen.

Man ist gegen Schwächere hoch, und gegen Mächtigere niederträchtig. Unsere jungen patriotchen haben Klugheit gelernt, und haben es nicht unnöthig gehabt. Man thut zu viel oder zu wenig.

den 6ten Merz 1767 à 6. Uhr morgens.

Hr. [→]Orell in der Neustadt, der französische Agent ein mann der hier Credit und Freunde hat, vornehmlich Hn Statth. Hirzel, hat einen sohn als volontair unter dem Obrist von Pretwiz, Cavallerie Regiment von Ziethen; der junge Mensch hat noch vor 3. jahren meine Collegia besucht, stand unter unserm Regiment Lochmann, welches er aber verließ, aus großer Begierde die er nach Preußischen diensten hatte. Er hat das ganze Naturell eines officiers, sonst ein sehr gutes gemüth, und den ansehnlichsten wuchs. Disen jungen menschen soll ich Ihnen und meinem liebsten Wegeli empfehlen, daß sie ihm, wenn er sie besucht, gute Erinnerungen geben. Hr. vom Pretwitz ist überaus wol mit ihm zufrieden und verspricht ihm eine officierstelle; er schreibt seinem papa, er solle ihm nur das Equipage anschaffen. Hr. Orell ist auch dazu ganz geneigt, nur wollte er gern, daß seinem sohn zuerst die patent für die beföderung gegeben würde. Also bittet er, Hr. professor möchte dises Hrn. von Pretwiz versichern, und ihm dabey sagen, daß der junge Mensch von gutem angesehenem Haus und den Seinigen sehr angelegen sey. Man glaubt hier, Hr. professor sey nicht nur um die besten Officier und Freunde des Königs, sondern um den König selbst, und ich lasse sie gern auf dem glauben & cum magnis vivere.

Meine Hoffnungen wachsen, daß beyde stände mit mehr Eyfer für die Independenz der Rep. Genf sorgen wollen. Es sind kleine Anzeigen, daß Hr. H–d–gg– den Ton ändert, Hr. Ougsburger folget ihm immer. Hr. Escher hat nicht länger zu kämpfen, Hr. Sinner wollte gern wälscher sekelmeister werden, und hat einen concurrent der die Negatifen hat; wenn er die Civisten haben will, so muß er auch nachgeben. Wirklich ist das memoire, welches diese plenipotentiaires im neu erfundenen Amt für unsre Ehrengesandten, dem französischen Hof eingegeben auf die wahren Principe gegründet. Wenn wir ihnen getreu und standhaft bleiben so ist Genf gerettet. Der Magistrat in Genf ist auf die Hülfe von Versaille stolz. Die negatifs haben den representanten ein Formular zugestellt, wie sie des Königs gunst und gnade wieder erhalten könnten; welches die kriechende Unterwürfigkeit eines Iloter in sich enthält. Der Magistrat sucht durch die niedrigsten Mittel proselyten zu machen. Er hat den Landleuten zugemuthet dem Rath treue zu schwören anstatt daß sie sonst nur dem staat schwören. In der that haben sie Choiseuil eingenommen, und noch mehr seinen commis Bournonville. Tronchin der Fermier und Tronchin l’Esculape, arbeiten ohne aufhören an diesem.

Man hat hier von Frankreichs macht den begriff, der unter Louis XIV mag richtig gewesen seyn. Andere die es besser wissen wollen sagen, [→]qu'elle n'a que 50.000. hommes de troupes, encore les suisses y compris, et point d'Argent, les peuples abimés dans une misere au dessus de toute expression. Die Memoires der Pompadour sollen uns davon belehren. Es sind starke Wahrheiten darinnen, wiewol auch vieles nur wahrscheinlich ist. Aber wir sind nicht tapfer, und wir schämen uns nicht uns damit zu entschuldigen [→]que nous avons eté obligés de suivre les volontés de la françe. Ainsi nous nous rendons l'objet de mepris de toute l'Europe, en faisant voir que nous ne sommes plus libres, mais soûmis volontairement au joug de cette couronne. Hr. Engel ist noch so sehr ein alter Schweizer, daß er sagt; [→]si les suisses etoient unis ils feroient trembler la françe et ce n'est que par notre faiblesse qu'elle peut donner une lueur quasi prête à s'eteindre. Les deux etats ont assez cedés, et au delà, il est bon qu'on tienne ferme, et si le duc ne veut pas ceder à son tour il vaudrait mieux rompre les conferences et declarer que nous voulons satisfaire à nos engagemens sacrés des Alliances; que de nous laisser continuellement mener par lui en renonçant à l'effet des Alliances et nous couvrir d'opprobre aux yeux de Dieu et de tout l’univers, en prenant part à toutes ses injustices. Bern hat noch mehr dergleichen helden für Rechte und Wahrheit, vornehmlich einen Trisching und einen Davel, der Hrn Sinners Eidam ist.

Im anfang dieser geschäfte hatte Hr. Norton, der Englische Resident den ständen ein schreiben von s. König gegeben, in welchem er uns sagt, daß es ihm nicht gleichgültig wäre, wenn wir gegen einen Artikel der Mediation 1738. französische truppen in Genf einrüken ließen. Izt liegen französische truppen an den gränzen von Genf, und halten die stadt wie en blocus, und Engelland schweigt. Hutton hat mit einem großen Minister von London gute sachen für Genf geredet, diser hat geantwortet, die stände seyn stark genug sich selbst und Genf zu helfen. Man thut uns zu vil Ehre, oder wir wissen nicht, wie stark wir sind. Es ist ein elend, wenn wir diese gute opinion, die man von uns hat, selbst offenbar zerstören. Etliche wenige Zeilen von London hätten uns doch muth gemacht, zum wenigsten hätten die wolgesinnten darauf appuyiren können.

Es ist unglaublich, was sich der magistrat von Genf gegen die representanten erlaubt, wie die negatifs dieselben ⟨raupfen⟩, sie zu irgend einem starken schritt zu verleiten. Es ist als ob die Obrigkeit nur da sey den negatifs Recht zu halten. Und eben so unglaublich wie geduldig und gesezt die Representanten alles vertragen. Es bleibt immer wahr, was ich einmal publice gesagt, man fände in der Historie aller Völker kein Exampel daß Rebellen so sanftmüthig und artig gewesen seyn; wiewol man mich erschreklich ausgelachet hat.

Man sagt als in Bern von dem neufchatelischen Geschäft berathschlaget worden, habe man den Hrn. Lentulus in den Ausstand gethan. Darauf als das Genfer geschäft behandelt worden, habe er begehrt, daß die französischen Officiere abtreten sollten, welches er auch erhalten. Bey uns müssen sie nicht ausstehen; wir haben aber auch nur zween im Großen Rath Hn Marschall Lochmann und Hn Capitain Landolt, Hn Burgerm. sohn. Doch Lochmann gehet für 20. Er ist allzu gut mit den kleinen Räthen bekannt, unter welchen er als Rathshr. viel jahre gesessen. Er kann nicht groß genug von Frankreich reden, und ihm glauben alle, die es nicht besser wissen wollen noch können.

Unser Bürgerm. Löw ist von alter abgenuzt, und der andere eilt ihm nach. Hr. Statthalter Hirzel ist etliche monate vom podagra übel geplaget; seine Anwesenheit hätte doch dem Geschäfte keinen bessern Schwung gegeben. Er denkt wie Lochmann und H... Ich weiß nicht wie es kommt, daß mir dise dinge so stark durch den Kopf laufen, welche doch so wenig patriarchalisches haben. Seitdem ich dem geheimen Rath zugeordnet bin, hab ich gewisse leute so nahe gesehen und gehört, daß ich bald in dise bald in jene bewegung gesezt worden bin. Unser Dr. hält sich seit einiger Zeit wie ein Held, schade daß er späte ins Feld gegangen ist.

Beilage: Eingeschlossener Brief an Jacob Wegelin

Mein liebster Hr Wägeli.

Unser Jean Schoulthess ist nicht mehr unser, ich habe ihn seit 3. monathen nicht mehr bey mir gesehen; und das schlimmste ist daß ich nicht ursache habe ihn zu mir zu bitten. Er hat ein eiteles Herz, und einen leeren Kopf. Wir sind ihm nichts mehr. Tanzen, sich kleiden, tändeln ist seine arbeit.

In Trogen tritt Hr. Joh. Zellweger, Hn Landammans Sohn, mit starkem Schritt in die Fußstapfen seines s. Oncle, des doctor, er ist izt Landsfähndrich, und hält sich so gut, daß es eine gute Anzeige ist, wenn er nicht auf künftiger landsgemeinde ausgestellt wird. Es ist als ob er diese Ehre mit unerschrokenheit und rechtschaffenheit verdienen wollen. Die von Heiden hatten ihren alten 80. jährigen pfarrer abgesezt, weil sein junger Vicarius ihnen beßer gefallen. Hr. Zellweger hat eine Deduction geschrieben zu behaupten daß den Gemeinden nicht gebührt ihr jus patronatus so gewaltthätig auszuüben. Vielleicht wird sie publicirt, und wiewol sie die Vernunft selbst dictirt hat, so steht er doch in gefahr daß die Bauern ihn für einen Verkürzer ihrer absoluten freiheiten ansehen. Er hat die ältere Schwester Hr. Dr. Hirzels geheurathet, der Dr. hat einen ordentlichen Briefwechsel mit ihm. Sein älterer Bruder lebt izt zu Trogen und hat Hn Leonhard Meister, Hn Kamerer von Küßnach Neveu zu sich in sein Haus genommen. Trogen wird bald eruditer als St. Gallen. Ihre historisch politischen schriften sind für Jean Schoulthess versiegelte Bücher; aber für mich und etliche andere sind es deliçes.

Sie dürfen beynahe freymüthiger schreiben, als wir hier reden. Ich bin durch meine öfentliche Institution von 40. jahren in den Ruf gekommen, daß ich die jungen Leute zu griechischem denken lehre, und doch lehre ich sie nur principia anstatt Maximen, ohne daß ich selbst Applicationen mache. Es ist nicht meine schuld, daß man die principia braucht zu appliciren, und sie bald richtig bald unrichtig anwendet.

Wenn Hr. Orell Ihnen besuche macht, so weiß ich daß sie ihm sein Vaterland lieb und schäzbar machen werden; wir haben auch tapfere männer nöthig, und officiere, er hat den französischen Dienst vornehmlich darum verlassen, weil er nichts auf den frisirten, gepuderten perruquier, und tanzmeistern hält.

Mein liebster Wägeli, ich empfehle Ihnen, was ihr Herz Ihnen empfiehlt, wenn ich Ihnen den theuren Hr. professor Sulzer empfehle, dessen Gesundheit und Hypochonder mir einigemale bang machet. Zween geister, wie sie beyde, sind zahlreich genug einander das leben angenehm zu machen. Ich selbst habe hier kaum eine grössere Zahl, welchen ich meine seele vertrauen darf.

Es wäre doch von unvergleichlichem nuzen, wenn Hr. prof. Sulzer sein Geschmakswörterbuch vollendete! Wenn er es nur nicht so weitläuftig angebahnet hätte!

Ich habe immer gehoffet, ein mann von Liscovs Geist würde auferstehen, welcher den pedantischen stolz der Lessing, Weiß, Nicolai, – demüthigen würde. Aber er kömmt nicht und sie geben den Ton. Wieland, der in der Dunciade so schön angefangen hat, ist zu ihnen über getreten; und fleht daß sie ihn aufnehmen wollen. Vielleicht thäte es seine würkung wenn sie in einer französischen schrift abgefertiget würden, weil sie doch so gern franzosen seyn wollten.

Mein liebster Sulzer.

Man sagt die Jgfr. Meisterinn habe in Bourdeaux ihren Wunsch; es ist mehr als wir hatten hoffen dürfen. Ihre Töchterchen werden es gern hören. Ich hoffe, daß diese lieben Kinder an jahren und verstand so sehr zunehmen, daß sie bald die Haushälterinnen ihres papas seyn können. Es ist doch gut, wenn alte leute die Hülfe und den Trost ihrer Kinder haben. Ich bin derselben beraubet, und ich muß mich mit fremden behelfen. Noch geht es gut so lang mein Rüken nicht gekrümmt ist, und ich noch auf den Füssen stehe. Ich kann noch nicht sagen, daß die Tage gekommen seyn, welche nicht gefallen.

Hr. Diacon Waser ist sehr gesund, Hr. Heß von Neftenbach hat sich recht sehr gebessert; Hr. Can. Breitinger hat den bau der münsterkirche tag und nacht im Kopf p.p.

Ich habe desto mehr geschrieben, damit die menge wenigstens dem brief einiges gewicht gebe.

Ich umarme sie beyde.
B.

den 14 März 1767.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Assignation für den Verleger Voß. – Brief an Wegelin.

Eigenhändige Korrekturen

Oh! Daß es
Oh!⌉ Daß es
sie die Demagogen werden
sie ↑die Demagogen↑ werden
man den Königlichen
man sich den Königlichen
Neustadt, der französische Agent ein
Neustadt, ↑der französische Agent↑ ein
gern wälscher
gern franzö wälscher
prête à s'eteindre
prête à expirer s'eteindre

Stellenkommentar

W–s–r
Johann Heinrich Waser.
W–s–r nach Künzli seufzet
J. H. Waser an Bodmer, Winterthur, März 1767 (ZB, Ms Bodmer 6.3).
wie die M–ll–
Am 28. Januar 1767 war Christoph Heinrich Müller wegen seiner politischen Stellungnahme zu den Genfer Unruhen in einem handschriftlichen Bauren-Gespräch von Zürich verbannt worden. Vgl. zum weiteren Werdegang Müllers auch Brief letter-sb-1767-07-21.html.
– – –
Christoph Heinrich Müller.
La vie d'un homme [...] vos passions
Übers.: »Das Leben eines Menschen kann also Opfer einer augenblicklichen Unvorsichtigkeit sein! Die gute Absicht kann die unglücklichsten Folgen haben. Den verdeckten Intrigen des Verbrechens verzeiht man, den Bemühungen der Tugend aber nicht. Die weltliche Moral sagt also mit Recht: Seid feige und klug, und ihr werdet über den Gesetzen stehen und nach euren Launen und Leidenschaften leben.«
gerechte Zusammenschwörung
Bodmers 1762 verfasstes Drama Die gerechte Zusammenschwörung wurde 1775 in einer gekürzten Fassung publiziert. Siehe dazu Brief letter-bs-1762-07-00.html.
Helvetische Gesellschaft, die sich auf der Gerber
Die Gesellschaft zur Gerwi, eine von Bodmer gegründete Helvetisch-vaterländische Gesellschaft, die sich auf der Gerberzunft in der Gerbergasse in Zürich traf.
grosse Werk
S. Engel, Essai sur l'Amerique, 1767.
sein System in die Noachide brauchen können
Engel bespricht in der zweiten Hälfte des Buches die Hypothesen über die Sintflut. Er vergleicht die Ideen, die man aufgrund der biblischen Erzählungen von der Universalität der Sintflut hatte, mit dem, was man als vernünftig erwiesen annehmen könne (eine für die Zeit typische theologische Fragestellung zur Inspiration der heiligen Bücher). Zudem bespricht er verschiedene Thesen über das Leben auf der Erde vor der Sintflut und wie sich diese zur Kometentheorie verhalten.
Gleim könnte wol sich selbst sagen
1767 erschienen Gleims Neue Lieder mit der Ode Anakreon, auf die Bodmer hier anspielt. Darin finden sich die Verse: »Wer war Anakreon?/ Fragt' einstens Doris mich./ Er war, antwortet ich,/ Er war ein Mann wie ich!«
Alexanderns Chörilusgeschmak
Anspielung auf den Dichter Choerilus von Jasos, den Begleiter von Alexander dem Großen auf dessen Feldzügen, der ihm für jeden Vers ein Goldstück geboten haben soll. Dennoch soll Choerilus nur sieben Verse zustande gebracht haben (Der Neue Pauly, 1997, Bd. 2, S. 332).
soutien
Unterstützung, Rückendeckung. Zu den Ereignissen um Travers von Ortenstein siehe Kommentar zu Brief letter-bs-1766-09-09.html.
die Sprecher
Die Sprecher (von Bernegg) gehörten neben den Salis zu den einflussreichsten Adelsgeschlechtern des Freistaats der Drei Bünde.
diese beleidigung ist der 15te Xb.
Absage der Mediation durch die Genfer am 15. Dezember 1766. Der Mediationsplan war unter dem Datum des 23. November 1766 publiziert worden. Frankreich forderte daraufhin Bern und Zürich auf, Truppen nach Genf zu schicken.
Hennin
Pierre-Michel Hennin, Gelehrter und Freund Voltaires, war von 1765–78 Resident Frankreichs in Genf. Anlässlich der Vermittlungskonferenz, auf der ab März 1766 die Gesandten Berns, Zürichs und Frankreichs verhandelten, unterstützte er die Partei der Négatifs gegen die Forderungen der Représentants.
Jallabert hat wie ein ehrlicher Mann
Jean Jallabert an Johannes Gessner, 27. Februar 1767 (ZB, Autogr Ott, Jallabert).
Vernet wie ein politischer Priester
Nicht ermittelt. In den Briefen Jacob Vernets an Breitinger (ZB, Ms Bodmer 23.20) findet sich kein entsprechendes Schreiben.
ganze Ode
Vgl. die handschriftliche Fassung der Ode God said to Frederic von Füssli (ZB, Ms Bodmer 1.30, Nr. 6). Füssli hatte diese aus Tours an Bodmer gesandt. Auf dem Brief ist als Adresse vermerkt »Fuseli – ches Mrs. Bacot & Barré negoc. à Tours.«
Lauson hat ein Recht auf Spandau
Dem aus Königsberg stammenden Lyriker und Dramatiker Johann Friedrich Lauson (vgl. Brief letter-sb-1767-02-07.html) gesteht Bodmer hier ironisch nur Haft in der Festung Spandau oder im Zuchthaus Waldheim zu.
Abbas Celestinus II.
Coelestin II. Gugger von Staudach, Abt des Klosters St. Gallen, starb am 24. Februar 1767.
Orell in der Neustadt
Hans Georg von Orelli in Höngg, 1743 als Kapitänleutnant nach Genf befördert, wurde danach französischer Agent in Zürich.
einen sohn
Hans Ulrich von Orelli, der seit 1767 bei dem Ziethenschen Husarenregiment und später als Rittmeister in preußischen Diensten stand. Vgl. zu ihm auch Brief letter-bs-1775-03-01.html.
Obrist von Pretwiz
Ernst Sylvius von Prittwitz.
Iloter
Sklave.
qu'elle n'a que [...] expression
Übers.: »dass es [Frankreich] nur 50 tausend Mann an Truppen hat, die Schweizer noch eingeschlossen, und kein Geld, das Volk gestürzt in eine Armut jenseits aller Begriffe.«
Memoires der Pompadour
J. A. de Pompadour, Mémoires, 1766. Das zweibändige Werk erschien bereits 1767 in deutscher Übersetzung unter dem Titel Nachrichten der Marquisinn von Pompadour, in welchen die Geschichte des französischen Hofes in den lezten zwanzig Jahren enthalten ist.
que nous avons [...] couronne
Übers.: »dass wir genötigt wurden, die Befehle Frankreichs zu befolgen. Auf diese Weise machen wir uns zu einem Gegenstand der Verachtung vor ganz Europa, indem wir zeigen, dass wir nicht mehr frei sind, sondern willentlich dem Joch dieser Krone unterworfen.«
si les suisses [...] ses injustices
Übers.: »wenn die Schweizer verbündet wären, würden sie Frankreich erzittern lassen, und nur durch unsere Schwäche kann Frankreich einen Glanz haben, welcher fast am Erlöschen ist. Beide Staaten haben genug nachgegeben, und darüber hinaus ist es nun gut, dass wir standhalten; wenn der Herzog seinerseits nicht nachgeben will, wäre es besser, die Verhandlungen zu unterbrechen und zu verkünden, dass wir unsere heiligen Verpflichtungen gegenüber den Allianzen erfüllen wollen, als dass wir uns laufend von ihm dahin leiten lassen, auf die Wirksamkeit der Bünde zu verzichten, während wir in den Augen Gottes und des Universums Schande über uns bringen, weil wir an seinen Ungerechtigkeiten teilhaben.«
Hutton hat mit einem großen Minister
Der in Genf und Lausanne lebende Geistliche James Hutton stand im brieflichen Austausch mit William Petty of Lansdowne, Earl of Shelburne, dem für die Genfer Angelegenheiten zuständigen Staatssekretär in London. Vgl. dazu Hübner Deluc 2010, S. 61.
Hrn. Lentulus
Robert Scipio von Lentulus war von Friedrich II. 1767 als Generalleutnant und 1768 als Gouverneur von Neuenburg, das unter preußischer Herrschaft stand, eingesetzt worden.
Capitain Landolt
Hans Konrad Landolt, Leutnant im Regiment Lochmann, wurde im Siebenjährigen Krieg schwer verletzt und erhielt den Orden vom Kriegsverdienste. 1763 wurde er Kapitän seiner Kompagnie und 1764 erfolgte seine Berufung in den Großen Rat.
Bürgerm. Löw ist von alter abgenuzt
Hans Jacob Leu, der seit 1759 Bürgermeister von Zürich war, starb 1768.
H...
Vermutlich Johann Conrad Heidegger.
Unser Jean Schoulthess
Johannes »Jean« Schulthess (1744–1830).
Hr. Joh. Zellweger, Hn Landammans Sohn
Johannes Zellweger (1730–1800), der Sohn von Laurenz Zellwegers (Philokles) Bruder Johannes Zellweger, war in den Jahren 1766 bis 1767 Landesfähndrich in Appenzell Ausserrhoden.
ältere Schwester Hr. Dr. Hirzels
Anna Hirzel.
ordentlichen Briefwechsel
Die Korrespondenz zwischen Hans Caspar Hirzel und Johannes Zellweger ist in der Kantonsbibliothek Trogen überliefert (KbAA, Fa Zellweger: 36/B: HirzJC).
älterer Bruder
Jakob Zellweger.
Liscovs Geist
Zu dem 1760 verstorbenen satirischen Dichter Christian Ludwig Liscow siehe Kommentar zu Brief letter-sb-1760-12-17.html.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann