Brief vom 8. September 1759, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 8. September 1759

Das zweite portrait des Königs ist glüklich angekommen und glüklich eingefasset worden. Wie viel dank bin ich ihnen schuldig, daß sie so den grossen mann so nahe zu meinen augen gebracht haben! Turn your eyes Britons from your own falln and wretched country, turn them to the continent and behold even this illustrious list (Alcibiades, Dion, Agesilaus, Epaminondas, Pisistratus, Pericles, Scipio, Cato, Lucullus, Brutus, Cesar) eclipsed by the unexampled genius, magnanimity, constancy and valour of one Heros, and give at least a sincere though fruitless proof of your gratitude to your deliverer and of your remaining sense and admiration of those virtues you dare not imitate, in being the first to lead the way to present times and to posterity in styling him Frederic the great. Browns Estimate.

Ich wollte mit dieser starken stelle aufhören, wenn ich mich entschlissen könnte, so viel blankes in meinem papiere zu lassen. Also soll folgendes nur zur ausfüllung des Plazes dienen. Der ganze brief soll eine bigarrure werden.

Tiresias. Führe mich zu dem leidenden mann, der von dem Gipfel der Hoheit der irdischen wolfahrt gefallen ist. Seze mir neben ihm einen stuhl zu rechte, dem Blinden an der Seite des blinden.

Oedipus. Ich erkenne deine stimme prophet des apollo wiewol ich dich selbst nicht mehr entdecken kann. Mein jammer, meine verzweifelung hat mich dir an diesem äusserlichen Gliedmasse gleichgemachet; aber o wie viel fehlt es daß ich dir an innwendiger ruhe der seele und an freundschaft mit den göttern gleich sey. Sage mir, haben sie ihren wunsch bald erlanget, und sind sie mit sich zufrieden daß sie mich elend gemachet haben. Ich befliß mich werke zu thun, die ihren grund in den ewigen rechten des himmels hätten, ich hofte damit den Göttern zu gefallen. Thebe ward durch mich eine Wohnung der Edeln und eine schule der sitten. –

Tiresias. Klage die Götter nicht an. Wolltest du ihnen zur last legen, daß sie den Menschen nicht allwissend, nicht unverlezlich gemacht haben. – Du leidest was unvermeidlich war, was in dem Schiksal war, das Jupiter und alle götter fürchten.

Oedipus. Was für götter sind das, die ein Schiksal fürchten? die gegen dises ihre freunde nicht bewahren können? Ist das Schiksal eine höhere Allmacht? Wenn es nach Vorstellungen handelt so muß es ein gott seyn. Kennt es nichts von sich und seinen werken so ists ein unding. An welcher Spinnewebe hängt denn die seligkeit der Götter selbst? Wie haben die thaten der tugendhaften dann ihren lohn dahin?

Tiresias. Du bist es werth daß ich dir verborgene Tiefen offenbare. Die Götter des Olympus sind nichts anders als Kräfte die in der Natur ligen. Wir ehren sie für Götter weil sie Ausflüsse des Einzigen sind, der Gott ist; werkzeuge dessen der die lange Ketten der dinge in seiner Hand beschlossen hat. Er mischet das gute mit dem übel so wunderbar daß ein Harmonisches ganzes, ein allgemeines Geseze der Wahrheit daraus entstehet, aber uns unsichtbar. Kein tugendhafter trieb gehet unbemerket vor ihm vorüber. – – – –

Oedipus. Ich bete diesen unerforschlichen in der tiefsten Ehrfurcht meines herzens an. Wenn er die Winkel meiner seele durchschauet, so weis ich daß er darinnen Reinigkeit und unschuld sehen wird, die sein Auge nicht fürchten. Aber ich bin unglüklich. –

Tiresias. Du bist es nicht, da dein Herz dir dises Zeugniß giebt. Der die Nieren erforschet, ist reich genug an mitteln dir das leide, wenn es auch ein irdisches leben von leiden wäre gut zu machen. Er hat mehr welten als die Erde in welchen er glückselige machet, und du hast deine ansprache an eine derselben.

Oedipus. Deine lippen sind vollen Trostes. Aber wiegest du mich nicht in süße träume, ist ein Elysium? Ist es gewiß daß wir durch den tod nicht in die fühllose nacht zurük geworfen werden. Die priester sagen uns von dem orcus so widersinnige dinge p.

Tiresias. Höre nicht die priester, höre die vernunft. Dise sagt dir, wenn tugend nicht ein leerer Nahmen ist so muß sie glükliche machen, und die in diser irdischen Kugel unglücklich sind, denen muß sie in ein besseres leben folgen.

Oedipus. Wie erträglich würde mir die last des leidens werden, wenn ich dise Hoffnung in meine gedanken einlassen dürfte!

Tiresias. Hoffe mit voller Hoffnung. Du ehrest mit dieser hoffnung die tugend und den gott der sie liebt. Je mehr du Frömmigkeit hast, je mehr recht hast du zu hoffen. Oedipus soll den tod nicht sehen bis daß der Herr über die Götter der völker ihm die gewißheit einer seligern welt in das herz legen wird. Seine bothen die nicht lügen können werden inwendig zu dir reden. p. p.

Leben sie wol, mein theurer, schon schallt ein bothe frölicher Zeitungen mit leisem flüstern vor meinen ohren. Bekräftigen sie ihn bald durch ihre allerliebste Schreiben. K. und ich sind ganz

die Ihrigen.

den 8. Sept. 59.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Stellenkommentar

Browns Estimate.
Vgl. J. Brown, An Estimate of the Manners and Principles of Times, Bd. 2, 1758, S. 114 f.
folgendes nur zur ausfüllung
Der folgende Dialog zwischen Ödipus und Tiresias stammt aus dem vierten Auftritt aus Bodmers 1761 publiziertem Oedipus, ein Trauerspiel, S. 310–316.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann