Brief vom 27. Januar 1751, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 27. Januar 1751

Zürch den 27sten Jenner 1751.

Mein Wehrtester Freund.

Hiermit kömmt endlich die Abschrift vom Noa; sie ist von Hr. Hug, und ich habe noch eine von Hn pastor Heßen, beyde sind einander gleichförmig, blatt nach blatt, und zeile nach zeile. Die fünf ersten gesänge ligen nicht dabey; es sind die drey gedrukten, die ich vermehrt, und in fünf gesänge getheilt habe. Die wichtigste Zugabe schike ich hiermit von meiner Hand. Ich habe noch etliche vermehrungen in den Gedanken, vornehmlich zum XI. gesange. Izt ersuche ich meinen wehrtesten Herrn um ihre Untersuchung der physicalischen und der astronomischen stellen; und weil Ihre Freundschaft mir ein recht dazu giebt, so bitte ich die Frau professorin um die untersuchung der Rollen der frauen. Aber darf ich auch die freiheit nehmen den Hn Hofprediger Sak um seine Gedanken von den religiosen stellen zu ersuchen? Ich verlange nicht daß sie das werk mehrern personen zeigen, wiewol ich dises auf Ihr gutdünken ankommen lasse. Aber mein Wehrter, ich sende Ihnen auch die Syndflut, den neuen Noa, gedrukt. Er ist noch ganz naß von der presse; und noch so unbekannt, daß ich nicht ein urtheil davon schreiben kann, es wäre denn mein eigenes, welches aber zu parteisch ist oder scheinen möchte. Und weil ich mich gern bey meiner neuen freundinn, der Frau professorinn, einschmeicheln möchte, so schike ich ihr die Erstlinge von meinem Jacob und Joseph. Es ist die Arbeit des Christmonaths vorigen jahres. Das werk besteht aus III. gesängen, und hält ungefehr 2000. Verse. Es ist bis izo noch ein geheimniß vor aller Welt, weder Heß noch Breitinger wissen davon. Sie sollen es gewiß auf die Ostermesse vollständig bekommen. Ich habe noch den V. gesang dazu in dem Gedanken, Jacob und Rachel; aber ich sehe keine Musse zur ausarbeitung bis im frühling.

Ich habe von den critischen nachrichten 25. stüke, und ich wollte doch gern das werk complet haben.

Sie sagen nicht, ob sie mein portrait lieber von lebenden farben, oder in Grau verlangen. Das in grau ist noch nicht von Haide zurük. Sie wißen, wie Füßlins portraits von lebenden farben nach wenigen jahren verblassen. Das portrait ist schon izo dunkel und platt, ohne Rundung und Leben. Wenn der Mad. Row Geschichte des Joseph bey ihnen zu finden ist, so erzälen sie mir mit gelegenheit, wie sie die sache angegriffen hat. Da Voltär ein solcher mensch ist, so würde es sehr unnöthig seyn, daß wir ihm die französische Übersezung der Messiade zeigeten.

Wie sehr hat mich [→]Hn Hofpr. S. Brief an den verirrten K. beweget; die thränen stuhnden mir so stark in die Augen, daß ich nicht fortlesen konnte! Was könnte mir erwünschter seyn, als daß K. eine Aufführung an sich nähme, daß ich den Messiasdichter daran erkennen könnte! Wie bald wollte ich ihn dann wider lieben, wie ich ihn liebte, als ich ihn für den gottseligen jüngling, für den stillen gesetzten wehmüthigen jüngling, für den apostolischen Lebbäus hielte! Ich hätte auch fortgefahren ihn zu lieben, wenn seine lustbarkeiten nur delicater und seine sitten politer gewesen wären. Hr. pastor Heß, der fromme, redliche mann, kann ihnen sagen, wie ängstlich wir miteinander berathschlageten, durch was für einen weg wir Klopstoken beykommen könnten. Mir hat er alle freundschaft in seinem brief so grausam aufgekündiget, daß ich für mich nichts thun konnte. Auch Hr. Heß und K. haben einander seit dem Herbstsynodo nicht mehr gesehen. Hr Klopst. ist auf ein paar studenten reducirt. Er kam seit vielen wochen nicht mehr in die Gesellschaft der jungen freunde, diese Herren haben die hochachtung für ihn verlohren. Überhaupt ist er in unserer stadt bey vornehmen und gemeinen in schlechtem Ansehn. Seine Messiade hat darunter zugleich gelitten. Ich höre er habe mir imputiren wollen, daß ich dises gedicht verkleinert habe; sie werden im Noah lesen, wie ich von dem Gedicht immer gleich denke. Izt bin ich voller Erwartung, was Hn Hofpr. S. brief würken werde. Ich habe einige hoffnung. In der Weihnachtwoche kam Hr. K. zu Hn Can. Breitinger, und wies ihm einen langen an mich concipirten Brief. Es war eine weitleuftige Erzälung von seinen geschichten mit mir; mit Auslassungen und Zusätzen, mit wahrscheinlichem für wahres, mit eigenen Erklärungen meiner unschuldigsten Worte, und selbst meiner Miene; mit schimpflichen Reflexionen – Er giebt sich in einigen äusserlichen stüken schuldig, aber in Empfindungen, in Großmuth, in Freundschaft ist nicht seines gleichen. Dieser brief sollte, wie er sagte, ein Zeugniß seyn zwischen ihm und mir. Ich habe ihn nicht gelesen, ich weiß dises nur von Hn Chorh. sub fide. Klopstok fragete ihn, wie er meinte daß der brief auf mich würken würde, ob er ihm riethe daß er ihn an mich abschikete. Hr. Chorh. sagte ihm, er könnte es schlechterdings nicht rathen, der brief hätte gar zu vil lüken, und wäre nur allzu odieux. Wenn er nur historisch wäre, so könnte man ihn ergäntzen. Unter andern hatte K. sich stark darüber aufgehalten, daß ich das depositum zurükgefodert. Er stellte dises als die niederträchtigste, nichtswürdigste that vor: Aber da Hr. Can. ihm sagte, eben er selbst hätte mir den Rath dazu ertheilt, es wäre sein Einfall gewesen, daß wir besagtes Depositum auf den Hn Rahn transferierten, und er wollte auf sich nehmen zu beweisen, daß es mit den strengsten Regeln der Freundschaft und der billigkeit übereinstimmete, so stühnd Kl. von diser Anklage ab, und blieb bloß darauf, daß ich das depositum mit einer triumphierenden Mine zurükbegehrt hätte. –

Seit dem Neuen jahr kam K. nicht mehr zu Hn Chorhr. Wol hat er vorige woche zu ihm geschikt zu fragen, Hr Chorhr. aber hatte geschäfte in einem convent. Jezo stehet zu erwarten was der betrübte und nachdrükliche brief Hn. S. würken werde. Es ist mir gantz merkwürdig, wie Kl. alle remonstrationen von Hn Breit. geduldig anhören und leiden kann. Ich weiß noch keine beleidigung, über welche Kl. sich klage, daß er sie von mir leiden müssen; da nicht Hr. Can. Br. auf dieselbe Art sich ungleich stärker an ihm versündiget habe; wie Hr Br. nicht in Abrede ist. Mein Herz schlägt mir vor verlangen ihn zu lieben, wenn er sich mir nur liebenswürdig zeigete. Ich liebe schon alles was an ihm liebens- und hochachtungswürdig ist, seine Geschiklichkeit schön zu schreiben, seine poesie, wie gern wollte ich auch sein Herz, seine Sitten, seinen umgang lieben, wenn sie mir so würdig schienen, als seine schreibart, und seine gedichte! Es ist in meiner Natur die schönen, die vortrefflichen sachen zu lieben; Ich bin unglüklich, wenn sie bey K. sind, daß ich sie nicht entdeke, und ich will dem dank haben, der sie mir entdeket. Aber warum rede ich so viel von mir! Ich könnte wol zu seinen verdienste, im umgang und leben blind gewesen seyn, aber ist auch der redliche, der fromme, der scharfsichtige, der freundschaftliche Heß dazu blind gewesen! Ich finde noch mehr tadelhaftes in Kl. Aufführung, in seiner kaltsinnigen Aufführung gegen Heß, als in seiner geschichte mit mir.

Wie übel hat K. diesen wehmüthigen Mann betrübt, wie ganz deconcertirt; wie lächerlich sind die zufälligen Gedanken in den Augen gewisser leute geworden! Erwarten sie nicht, daß ich Specialiteten von K. sitten anziehe. Es ist zu vil daß ich sie weiß, und es wäre schon schlimm genug daß die sachen wären, wenn ich und Heß sie nicht wüsten. Wir sind nicht zu leichtglaubig gewesen. Heß wird ihnen künftig selbst schreiben, wie es uns von zeit zu zeit zu muth gewesen ist. Schuldheiß, der Minister ist zu Winterthur, wo er sich bald verheurathet hätte. Ich will ihnen doch einmal auszüge aus Kl. Briefen an mich machen. Vielleicht noch dißmalen.

Wie klug haben sie gethan, daß sie Hn Sak nichts weitleuftiges von disen händeln erzählt haben, bevor er die Antwort an Hn Kl. concipiert hatte. Was ich Ihnen hierüber schreibe ist doch nur Ihnen zu einem vernünftigen gebrauche geschrieben. Ich lebe zwischen furcht und hoffnung. Ich fürchte mehr als ich hoffe. Ich hoffe doch der brief von Hn. Hofpr., und Hn Chorh. vorstellungen werden einen samen in das Herz des jungen menschen werfen, der etwa in den künftigen Jahren frucht bringen könne. Hr. Kl. redete doch auch von einer Aussöhnung: wir wissen aber nicht, was er dadurch versteht. Ich weiß selbst nicht was eine Aussöhnung mit einem Menschen sagen soll, dessen person ich herzlich gewogen bin; dessen Aufführung ich nothwendig verwerfen muß. Sie, mein freund; Hr. Sak, Hr. Heß, stehn in eben disem fall, wie ich; sie wissen Kl. Geschichte, und können sie alle tage genauer innen werden, wie sind sie mit ihm versöhnt, und was ist dise Aussöhnung? Ich will alles unangenehme, das mir von K. geschehen ist, gern vergessen, es ist auch vergessen; er soll mich nicht schwerer beleidiget haben, als die sitten und die tugend; ich rede nicht von der gemeinen oder der bürgerlichen tugend; also stehe ich mit ihm wie sie, und wie alle braven leute. Sie müssen sich dann auch mit ihm aussöhnen. Oder wenn sie mit ihm ausgesöhnet sind; womit hat er ihr Herz gewonnen? Lösen sie mir dises auf. Wie superficial wird unsre Aussöhnung herauskommen, wenn Kl. nicht der Messiasdichter wird! Rahnen sachen sind ganz derangiert. Er ist mit seinem grösten Creditor, Hn Ott, völlig broüilliert.

Ich habe seit Kl. anwesenheit in der Schweiz nicht einen brief nach Deutschland geschrieben, ausgenommen an Sie; jezo will ich Hn von Hagedorn schreiben; ich werde aber unsrer Entzweyung wol mit keinem wort gedenken. Künftiger schreibe ich weitleuftiger meine Wünsche für das wolseyn ⟨derselben⟩ und ihrer Helfte, und mit wie vieler Ergebenheit ich verbleibe

Ihr Bodmer.

[→]P. S. den Brief an Hagedorn bitte auf die Post zu geben.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Abschrift vom Noah. – Erster Teil von Jacob und Joseph (siehe dazu auch die Vermerke Bodmers auf dem Brief letter-sb-1750-11-03.html). – Brief an Friedrich von Hagedorn.

Eigenhändige Korrekturen

meinem Jacob und Joseph
meinem Jos Jacob und Joseph
unschuldigsten Worte
unschuldigsten Worten |Worte|
bevor er die Antwort
bevor eh er die Antwort
Ich lebe zwischen furcht
Ich habe |lebe| zwischen furcht
selbst nicht was
selbst ⌈nicht⌉ was
nicht schwerer
nicht mehrschwerer
P. S. den Brief [...] zu geben
P. S. den Brief [...] zu geben

Stellenkommentar

Hr. Hug
Näheres zu einem Kopist namens Hug nicht ermittelt.
eine von Hn pastor Heßen
Abschrift von Johann Caspar Hess (von Altstetten) nicht ermittelt.
meinem Jacob und Joseph
[J. J. Bodmer], Jacob und Joseph: ein Gedicht in drei Gesængen, 1751.
von Haide zurük
Der Kupferstecher Johann Jakob Haid hatte in Augsburg ein eigenes Verlagshaus gegründet und gab populäre Porträtserien als sogenannte Schwarzkunstblätter heraus.
der Mad. Row Geschichte des Joseph
The History of Joseph. A Poem. In Ten Books, 1737, machte die englische Dichterin Elizabeth Rowe, die auch von Pope und Richardson geschätzt wurde, international bekannt.
Brief an den verirrten
Sacks Brief an Klopstock vom 5. Januar 1751, in dem er diesen aufgefordert hatte, sich mit Bodmer wieder zu versöhnen. (Klopstock Briefe 1985, Bd. 2, S. 1 f.).
apostolischen Lebbäus
Wörtl. der Herzhafte, der Liebling. Einer der zwölf Apostel, der den Beinamen Thaddäus erhielt.
imputiren
Angreifen, anfallen.
an mich concipirten Brief
Vgl. Klopstocks im Dezember 1750 entstandenes, nicht abgeschicktes Schreiben an Bodmer (Klopstock Briefe 1979, Bd. 1, S. 153–162). Vgl. auch Klopstocks Briefe an Breitinger vom Dezember 1750 (ebd. S. 162–165).
sub fide
Übers.: »unter Versicherung« oder »unter Beglaubigung«.
odieux
Übers.: »häßlich, schändlich«.
deconcertirt
Verwirrt, irre gemacht.
Hn von Hagedorn schreiben
Bodmers ebenfalls am 27. Januar 1751 entstandenes Schreiben an Hagedorn ist nur auszugsweise überliefert (Hagedorn Briefe 1997, Bd. 1, S. 243). Hagedorn wurde in einem Brief von Giseke vom 15. Februar 1751 über das Zerwürfnis zwischen Bodmer und Klopstock informiert (ebd.).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann