Brief vom 1. Dezember 1746, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 1. Dezember 1746

Mein Herr und werthester Freund.

Ihre Beyden vom 12 und 28 October habe wol empfangen das letztere aus den händen des wakern Hn Bachmanns. Ich wünsche daß sie die Briefe und Sachen so ich von Zeit zu Zeit an Sie gesandt, eben so richtig empfangen haben. Denn aus ihren briefen kan ich dises nicht deutlich erkennen; und zweifle desto mehr daran, weil sie schreiben, daß die päkgen in Leipzig geöffnet worden seyen.

Sie sollen von der Ostermesse dises Jahres empfangen haben 4 Stük vom natürlichen Im Schäferspiele, 6. Panthea, 1. Heideggers kleine Schriften, dise letztern für Hn Lange, und von den erstern sollten sie ihm und andern freunden mitgetheilt haben. Sie sollten auch zwey stüke Sittenmahler erhalten haben, einen für Sie den andern für Hn Lange. Diese sollten ihnen durch Hn Orells besorgung, jene Sachen durch Hn Eschers im Wollenhof zugekommen seyn.

Auf die MichelisMesse habe Ihnen gesandt zwey stük critische Briefe, eines für sie, das andre für Hn Gleim samt ein paar freymüthigen Nachrichten.

Jezo sende Ihnen auf die Neujahrsmesse 6. Stüke meiner Gedichtgen; für Sie; für Hn Gleim; für Hn Lange; für Hn Meyer, und zwey für Hn von Hagedorn. Dabey Freymüthige Nachrichten für alle dise Herren. Dise schike ich durch Hn Escher im Wollenhof, der sie zu Leipzig Hn Kitt zur bestellung übergeben wird.

Hr Orell schiket auf dise Messe kein Stük von meinen Gedichten, aus keiner andern ursache, als aus Nonchalance. Ich bitte die Stüke an Hn von Hagedorn zu bestellen, und mit einem Briefgen zu begleiten, dazu Sie beigelegtes Zedelgen zu legen belieben, in welchem die Note enthalten ist, was ich ihm dises Jahr gesandt Habe, denn ich stehe auch deßfalls in Sorgen, ob es ihm glüklich zugekommen sey.

Ich schike Ihnen hierbey meinen Cimon, ein schäferspiel. Ich wollte gern, daß sie solches Hn Gleim oder andern Kennern zeigeten, und wenn es ihnen gefällt, irgend einem geschikten Versmacher in Verse zu setzen, gäben. Vielleicht wäre die Frau pastor Langin dazu schon geschikt genug. Ich überlaße es Ihnen, und wenn dieser Einfall Ihnen nicht gefällt, so belieben sie mir das Stük künftig zurükzubringen. Vielleicht könnte mans wegen des Inhalts in dem Mädchenfreund gebrauchen. Ich habe eine Erzehlung von Pigmalion und der Menschwerdung des Marmors welche sich vermuthlich noch beßer in den Mädchenfreund schikete, weil sie nach dem ungekünstelten Wiz und der einfältigen Galanterie der ersten Welt geschrieben ist. Ich gehe darinnen von dem plan, und den Gedanken der Statue animée des Mr. de S. Hiacinthe allerdings ab.

Ich schike Hn Langen ein ziemlich umständliches Urtheil von seinen Oden, die er mir geschikt hat. Ich werde sehen, ob er die Critik so gelaßen ertragen kan, als er sagt. Ich schreibe ihm zugleich viel gutes von Hn Gleim und Hn Gärtner. Ich zweifle nicht, er werde Euch die Critik sehen laßen. Die Ode an Hn Meyer ist ganz unphilosophisch an einen Philosophus. Da der poet andernmahl so viel aus der Unsterblichkeit des nahmens macht, redet er hier davon wie ein Gottschedianer. In der Ode an Doris hat des poeten Verwandlung in eine Nachtigall keinen Grund. Das Lob des Höchsten hat etliche Miltonische und Davidische Ideen, aber sie sind nicht in der besten Ordnung und mit schwächern vermischt. In der Empfindung der Vergebung wird ein gewaltiger Sprung gethan (in der letzten Zeile der III. Strophe.) Der Inhalt der Ode auf Hagedorn schikt sich nicht für ihn weil Mars ihn niemals gestört hat. Auf die Erscheinung des Adlers, ist vielmehr ein Sinngedicht als eine Ode. Das Lob der Schweizer zeigt vielmehr einen guten Freund, als einen Kenner der Schweizer, in der ersten helfte sind halb aliena in der letzten sind nur Charakter etlicher particularen, welche eben nicht die richtigsten sind. In der Ode an Germershausen wollte ich den Sprung in der Strophe Neptuns geschöpf entschuldigen, wenn Germershausen ein berühmter Pferdebereiter wäre. Die Ode an den König pag. 139 ist allzu heidnisch.

In der Frau Langin Ode an Hn Heß kan ich den Sprung von der Sündflut auf die Erschaffung der Berge noch wol entschuldigen, weil er doch in der meinung gegründet ist, daß die Berge in der Sündflut entstanden seyn. Im übrigen sind vil poetische Tours, vil Horazische Ideen in disen Oden, welche uns desto mehr wünschen laßen, daß der Poet sich selbst beständig gleich geblieben wäre. Ich weis vollkommen wol daß Hr. Gleim nicht nur ein besserer poet, sondern auch ein besserer Criticus ist, als Hr. L... und Hr. Meyer. Diser sollte zuerst mehr Criticos lesen, eh er anfängt selbst zu kunstrichtern. Es ist ein unglük daß Hr. Gleim nicht in seiner Assiette ist. Von Hn v. Kleist habe ich nichts gesehen. Könnten sie ihn dadurch aufmuntern, daß sie ihm den Cimon zu versificieren gäben, mit der Erlaubniß daß er daran alle nöthigen veränderungen machen dürfte? Sie könnten ihm sagen, daß ich ihn zu diser Arbeit tüchtig hielte. Wenn es nur Verse wären, sie müsten eben nicht mit Reimen behangen seyn. Ich schike Hn Lange eine Erzehlung meiner Reise von Trogen bis Gaß, doch mit Erinnern, daß er sie niemandem als den besten freunden zeigen solle. Er wird sie ohne Zweifel Ew. HochE. sehen lassen.

Wegen der jungen Landolten, und der neuen Auflage der schrift von der Auferziehung überlasse Hn Diacon Waser zu antworten. Ich helfe zu dem ersten nach Vermögen.

Ich suche Hn Lange zu belieben, daß er ein Trauerspiel von dem Falle Adams verfertigen solle. Er könnte dises aus lauter Gedanken, Vorstellungen und Empfindungen des Engl. Miltons zusammensezen, und hätte kaum etwas mehrers dabey zu thun, als daß er den Plan dazu, den Regeln der Schaubühne gemäß erfinden müste. Es wäre zwar kein Werk welches man auf das Theater bringen könnte, weil die Personen der Engel dafür zu heilig sind: aber es lisse sich mit begierde lesen.

Wie wenn sie dem Hn von Kleist sagten, daß ich dises für eine Arbeit vorgeschlagen hätte, welche er vor Andern tüchtig wäre, zu vollführen. Vielleicht würde ihn dises aufmuntern. Gesetzt daß dann beyde, Hr. Lange und er, dise Arbeit vornähmen, so hätten wir das Vergnügen zu sehen, wer es geschikter gethan hätte.

Ich melde Hn Langen nichts von dem Schäferspiel Cimon; also daß Sie damit nach Gutfinden handeln, und es ihm oder jemand andern zur Versification übergeben können.

Ich fürchte, Hr. Lange habe für Hn Gärtner, und die übrigen Hhn die in die Brämischen Beyträge arbeiten, die gebührende Hochschätzung nicht. Wir müssen dise Männer doch nicht mit den Schwaben, Istrichen p. vermengen.

Ich habe mit Hn Chorhr. Breitinger alle Hände voll zu thun, damit wir den Allemannischen Codicem aus dem Schwäbischen Sæculo abschreiben, welchen wir aus der königlichen französischen bibliothek erhalten haben.

Sie können mich von einer großen Sorgfalt befreyen, wenn sie mir bey gelegenheit durch Hn Diacon Waser, oder Hn Schuldheiß zum Dach, mit zwey worten berichten wollen, daß meine sachen und briefe an Sie und meine übrigen Freunde wol überkommen sind. Ich verbleibe mit aller Ergebenheit und in guter hoffnung Sie auf den Frühling in der Schweiz von Angesicht zu sehen.

Ihr gehorsamster diener
Joh. Jacob Bodmer

Zürich den 1. Christmonat 1746

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Abschrift von Bodmers Manuskript der Schäfererzählung Cimon.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der erste Seite: »d. 1 Dec. 46«.

Eigenhändige Korrekturen

Erschaffung der Berge
Erschaffung der der Berge

Stellenkommentar

beigelegtes Zedelgen
Nicht ermittelt.
meinen Cimon
Zu dem Schäferspiel Cimon hatte Bodmer eine Episode aus dem Decamerone (V, I) inspiriert. Ein Schäfer wird hier durch die Liebe klug und vernünftig. Cimon gelangte schließlich an Lange, der es allerdings erst 30 Jahre später und ohne Bodmers Wissen veröffentlichte in dem von Gottlob Benedict von Schirach herausgegebenen Magazin der deutschen Critik, Halle 1773, Bd. 2, Th. 2, S. 101–123.
Erzehlung von Pigmalion
Bodmers Pygmalion und Elise erschien 1747 und wurde 1749 von Sulzer mit dessen eigener flankierender Erzählung Damon oder die platonische Liebe noch einmal publiziert. Vgl. SGS, Bd. 7, S. 77–90 u. S. 337–344.
der Statue animée des Mr. de S. Hiacinthe
Das Werk Pigmalion ou la statue animée, auf das Bodmer hier anspielt, verfasste nicht Thémiseul de Saint-Hyacinthe, sondern André François Boureau-Deslandes. Der Roman wurde in Dijon vom Parlament verurteilt und durch den Henker verbrannt. Deshalb erschien die Schrift unter einem Pseudonym in London 1742, in Berlin 1743. Vgl. Dörrie Pygmalion 1974, S. 48, 83.
ein ziemlich umständliches Urtheil
Lange hatte Bodmer seine Oden am 10. Oktober 1746 übersandt. Antwortschreiben Bodmers mit seiner Beurteilung nicht ermittelt.
aliena
Übers.: »Fremdartig, nicht zur Sache gehörig«.
Assiette
Hier: Lage, Stellung.
eine Erzehlung meiner Reise von Trogen bis Gaß
Gemeint ist Gais (Gäss) im Appenzeller Land. Bodmer schickte das Manuskript seiner Reisebeschreibung an Lange, der es an Gleim weitergab. In einem Brief vom 2. Oktober 1749 teilte Lange Bodmer mit, dass Gleim »die Reise nach Gaiß verlegt habe«. Über den Verbleib des Manuskripts ist nichts bekannt. Im Bestand des Gleimhauses Halberstadt befindet es sich nicht.
Schwaben
Johann Joachim Schwabe, 1714 in Magdeburg geboren, lebte seit 1734 in Leipzig, wo er Theologie und bei Gottsched Beredsamkeit studierte. Als Herausgeber und Übersetzer zeichnete er sich früh als ein Anhänger der Dichtungstheorie Gottscheds aus, war 1741 Mitbegründer der literarischen Sammlung Belustigungen des Verstandes und Witzes und publizierte unter verschiedenen Pseudonymen einige satirische Schriften gegen Pyra, Breitinger und Bodmer. Nach 1745 zog sich Schwabe offenbar aus dem Literaturstreit zurück und führte seine Übersetzungstätigkeit und seine akademische Karriere in Leipzig fort. 1750 wurde er Kustos der Universitätsbibliothek und 1765 Professor für Philosophie.
Istrichen
Christian Gottlieb Istrich, Student der Philosophie und ebenfalls Anhänger Gottscheds, wurde 1746 Magister. 1744 hatte er das Gedicht Von der Nothwendigkeit der Meßkunst in der Weltweisheit in den Belustigungen des Verstandes und Witzes, September, S. 195–198, publiziert.
Allemannischen Codicem
Bodmer und Breitinger wussten seit Mitte der 1730er Jahre von der Existenz eines umfangreichen Kodex mittelalterlicher Literatur (Kodex 7266) in der Pariser Bibliothek (vgl. Bender Bodmer und Breitinger 1980, S. 37). Auf Vermittlung des Straßburger Gelehrten Johann Daniel Schöpflin erhielten sie die Urschrift, die nach Zwischenstationen in Straßburg und Solothurn Ende November 1746 in Zürich eintraf (Crueger Briefe von Schöpflin 1884). Bodmer, der die Handschrift als Erster Codex Manesse nannte, und Breitinger nahmen Abschriften davon und ließen die Abbildungen durchzeichnen (siehe Tafel 17). Einzelne Stücke erschienen in den Freymüthigen Nachrichten und 1748 in den Proben der alten schwäbischen Poesie des Dreyzehnten Jahrhunderts. Aus der Maneßischen Sammlung. Vgl. Debrunner Das güldene schwäbische Zeitalter 1996. – Eggenberger Manesse-Liederhandschrift 2009.
Hn Schuldheiß zum Dach
Hans Kaspar Schulthess (beim Rechberg), 1709 geboren, war einer der reichsten Kaufleute Zürichs und Mitglied des kaufmännischen Direktoriums, weshalb er in den Briefen Bodmers oft auch »Director« Schulthess genannt wird. Schulthess residierte in einem Haus am Rechberg zwischen Hirschengraben und Neumarkt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann