Vor ein paar Tagen, mein Theürester, habe ich Ihnen einen sehr langen und meiner izigen Muße proportionirten Brief geschrieben, der Ihnen aber erst durch die Meßgelegenheit mit dem 2tn Theile meiner Theorie zukommen wird. Izt muß ich, meinem lieben Schwiegersohn Graff zu gefallen durch einen schnellern weg an Sie schreiben, um Sie zu bitten, wenigstens durch die dritte Hand dem Dr. Hirzel sagen zu laßen, daß er nächstens den 2tn Theil meiner Theorie und einen Brief von mir bekommen werde. Dies sollte ein Corruptions Geschenk seyn. Ich werde dem Doktor anliegen, daß er sich mir zugefallen des Pfarrer Dänniker zu Dorff, der meines Grafen Schwager ist, annehme, um seine Hoffnung zu unterstüzen, den CammererFüßli in Velten, wenn der Fall sich ereignen sollte, zu succediren. Finden Sie mein theürester Gelegenheit, ohne irgend einen Schritt zu thun, diese Sache jemandem, der Ihnen oder mir gern gefällig wäre, zu empfehlen, so thun sie dadurch alles, was ich von Ihnen verlangen könnte. Dieses wäre z. E. für den jungen Bürkli unser Direktor Schultheßen Schwiegersohn, eine Gelegenheit mir zu zeigen, daß er den wichtigen Dienst, den ich ihm hier geleistet, nicht vergeßen habe.
Der Herbst tritt hier mit sehr rauhem Wetter ein, das mir gar nicht vortheilhafft ist. Ich fange an von den Kräfften, die mir der Sommer gegeben, wieder etwas zu verliehren, und ich fürchte, daß das schlechte Wetter mich nöthigen werde vor der Zeit wieder nach der Statt zu gehen, wo ich unter mehr als 100 tausend Menschen viel einsamer bin, als hier in einer Art von Wildnis. Denn würklich hat es mir hier nie an Gesellschafft gefehlt.
Ich habe mich anders bedacht, und schreibe gerade zu an den Doktor, in deßen Brief ich diesen einschließen werde. Ihm melde ich, daß er durch Sie den 2tn Theil meiner Theorie bekommen werde. Ich umarme Sie von Herzen.
JGSulzer.
Aus dem Moabiter Land den 24 Septemb. 74.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
An Herrn Profeßor Bodmer
Geschickt als Einschluss in einem Brief an H. C. Hirzel.
Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »de nos jours on aime mieux n'avoir que de l'esprit et avoir des moeurs moins simples. On se pique de rafinement, de duplicité, d'intrigues, de manège, de ruse et de mauvaise foi. Si l'on peut assaisoner tout cela de persiflage et d'un jargon brillant on est tres-content de soi, l'on ne changeroit pas sa petite reputation de bel esprit contre celle du grand genie. Clement. 4 lettr. à Voltaire p. 54.«. (Übers.: »In unseren Zeiten hat man lieber nur Witz und weniger einfache Sitten. Man schmeichelt sich mit Verfeinerung, Falschheit, Intrigen, Spielchen, Schlauheit und Unlauterkeit. Wenn dies alles noch durch Persiflage und einen klugen Jargon Würze bekommen kann, ist man seiner überaus zufrieden, man würde seinen kleinen Ruhm eines Schöngeistes gegen den des größten Genies nicht tauschen.«). – Siegelreste.