Brief vom 10. August 1773, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 10. August 1773

Sie Thun wol, mein Theürester, daß Sie vor allem, was Ihnen unangenehm seyn könnte, vorüber gehen und ihre noch übrige Tage in Ruh und Zufriedenheit genießen. Dieses ist gerade meine Maxime und ich bin so glüklich, daß mir der Sommer unter so viel Annehmlichkeiten vorbey fließt, daß mir meine Krankheit fast unmerklich wird. Und je mehr ich die Nähe des Endes meiner Tage fühle, je mehr nihmt die Lust mein Leben vergnügt zu vollenden, bey mir zu, und ich finde mich gegenwärtig glüklicher, als ich nie gewesen bin.

Die Unordnungen, die Räubereyen, die Ehr und Habsüchtigen Projekte und die Zänkereyen, die izt in der deütschen Litteratur so sehr überhand nehmen haben keinen andern Einflus auf mich, als daß sie mir bisweilen die Zeit vertreiben.

Meine Krankheit ist nun für unheilbar erkläret, aber so weit gemildert, daß ich ohne große Beschwerde, mit ruhigem und sogar vergnügtem Gemüthe das End erwarte. Jeden neüen Tag, den ich antrete, sehe ich als eine Verlängerung einer nicht unangenehmen Reise an. Ich habe mich aller Geschäffte entschlagen; nur meine Theorie beschäfftiget mich noch und ich hoffe, daß ich noch das Ende davon sehen werde. Auf die nächste Meße werde ich Ihnen schiken, was vom 2 theil abgedrukt ist.

Ich habe von dem König Erlaubnis erhalten, meine Tage in Ruhe zuzubringen und bey dieser Gelegenheit so schmeichelhaffte Versicherungen der Höchsten Königl. Gnade erhalten, als vermuthlich noch niemand von meinem Stand bisher erhalten hat. Als ich den Monarchen bat mir zu erlauben jemand anderen meine Verrichtungen, als Profeßor der Philosophie bey der neüen RitterAcademie aufzutragen, bekam ich zur Antwort, daß Se. Maj. darin sich völlig auf mich verlaßen, aber ausdrüklich verlangten, daß ich meinen künftigen Nachfolger im Amte, unter meinen Landsleüthen aufsuche, zu denen Sie ein vorzügliches Zutrauen haben. Sollte sich wol bey Ihnen jemand finden, den ich hiezu vorschlagen könnte? Die größte Schwierigkeit möchte wol von der Sprach herkommen; weil das französische die Sprache der RitterAcademie ist, darin alle Lectionen gegeben werden. Ich schreibe mit der heütigen Post auch an Haller um zu vernehmen, ob er jemand in Vorschlag zu bringen wüßte. Der Parisische Meister ist mir zuerst beygefallen: aber ich fürchte der Vorsaz der Jugend wahrhafftig nüzlich zu seyn, die erste Eigenschafft des Mannes den ich suche, möchte bey ihm nicht lebhafft genug seyn: und ich bin gänzlich entschloßen das Zutrauen, welches der König in mich gesezt hat, nicht zu mißbrauchen und niemand vorzuschlagen von dem ich nicht gewiß bin, daß er sich die Sachen so wird angelegen seyn laßen; wie sie mir waren. So viel von mir.

Wegen des jungen Gelehrten aus Stuttgard, den Sie mir empfehlen, kann ich noch nichts sagen. Profeßoren der alten Litteratur und der Beredsamkeit habe ich bereits dem Herzog vorgeschlagen und erwarte Täglich Antwort darüber. Noch habe ich niemand für die Philosophie vorzuschlagen. Wenn Hr. Hartman darin stark genug ist, so könnte dieses für ihn seyn. Aber bedenken Sie auch, mein theürester, daß es dabey auf meinen guten Namen ankommt und daß ich niemand vorschlagen kann, als der meiner Wahl Ehre macht. Hierüber erwarte ich ihr Gutachten. Hätte der Prof. Müller dem Rath, den ich ihm vor langem gegeben, sich in der französischen Sprache fest zu sezen, gefolget, so würde kein andrer, als er, in meine Stelle treten.

Wie sehr ich auf den Dr. Hirzel unzufrieden bin, daß er Ihnen Verdruß macht, kann ich Ihnen nicht beschreiben. Aber er bestätiget eine Beobachtung die ich schon lange gemacht habe, daß in der moralischen Welt nichts so selten ist, als ein Mensch, der in dem was ihn selbst, oder seine Familie angeht, unpartheyisch sey. Davon bin ich so sehr überzeüget, daß mich Ungerechtigkeiten von dieser Art nie befremden. Am Cammerer Meister haben Sie in der That nichts verlohren. Sie haben nun einige Gelegenheiten ihre Geduld und Nachsicht zu üben, weniger.

Wegeli arbeitet fleißig und ist nun mit Einsamlung seiner Materialien fertig. Er wird ohne Zweifel ein Höchst wichtiges Werk an den Tag bringen, aber ich fürchte sehr, daß es fast niemand lesen wird. Denn sein Ausdruk wird immer schweerer und metaphysischer. Von Müllern ist vor der Hand nichts zu erwarten. Er hat noch keinen bestimten Plan, und sehnet sich so lebhafft nach dem Ziehl, sich einen Namen zu machen, daß ihm die Geduld, die Mittel dazu förmlich zu brauchen, vergeht.

Graff hat zwahr einen Ruff nach Petersburg erhalten, aber ihn vor der Hand abgelehnet. Sollte noch Anschein kommen, daß ich noch ein paar Jahre hier zu verweilen hätte, so werde ich versuchen ihm hier eine Pension vom König auszuwürken.

Ich hätte Ihnen noch viel in dem Ton eines vertraulichen Geschwäzes zusagen, aber das Schreiben mattet mich bey meinen wenigen Kräfften zusehr ab. Wer ist denn der Schmidt, der so ungeschikt wieder zu ihnen zurük kehret? Was die Schirachs und andere dieser Art thun, ist mir völlig unbekannt.

Ich umarme Sie von ganzem Herzen.

JGSulzer

den 10 Aug.

Gleims Äußerungen gegen Spalding sind darum unerklärbar, wenn man den Man nicht von Grund aus kennet; weil er auch selbst, wenn er in Wuth und Raserey der Boßheit ist, sich zärtlich stellen will. Ich habe noch nie einen Menschen gekannt, der so sehr laut von Gesinnungen spricht, die er nicht hat, als Gleim. Er will durchaus großmüthig seyn, wo er die niedrigste Rache ausübet, und für zärtlich gehalten werden, wo er brutal ist. Dieses muß freylich Räthsel veranlaßen, die in der Ferne unauflößlich scheinen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Anschrift

Monsieur Bodmer Professeur très celebre à Zurich frco Nrnberg

Stellenkommentar

bekam ich zur Antwort
Das im GStA überlieferte Schreiben Friedrichs II. an Sulzer lautet: »C'est avec bien de la peine, que Je viens d'apprendre, par vôtre lettre du 3 de ce mois, qu'une longue maladie vous a tant affoibli, que vous n'avés plus la force, de vaquer à vos fonctions à Mon Academie des Nobles, que vous avés remplies jusques ici, avec tant de distinction. Je sens toute la perte, que cet etablissement fera, par vôtre resignation, et Je vous somme, de M'aider, pour la rendre moins sensible. Celui que vous venés, de Me proposer, pour vous soulager & vous succéder un jour, ne Me convient cependant nullement. Je ne veux point d'Écclesiastique, pour vôtre poste, et Je crains trop les defauts ordinaires de son etat. La Suisse est plus fertile, en bons sujets, pour former la Jeunesse. Je me rappelle encore avec plaisir, les bons services, que vous avés rendus à cet etablissement; & c'est là le motif, qui M'engage, à vous ordonner, par la presente, de choisir un de vos compatriotes, pour remplir la chaire, que vous voulés quitter, et de Me le proposer en suite. Vous pouvés vous arranger avec lui, de la même maniére, que vous aviés dessein de faire avec le Pasteur Moulines; et Je serai très charmé, si vos recherches repondent à Mon attente, & que Je retrouve, dans vôtre successeur, les mêmes talents et connoissances, qui vous ont concilié Ma bienveillance Royale. Sur ce Je prie Dieu, qu'Il vous ait en sa sainte garde. Potsdam ce 5 d'Aout 1773. Frederic« (GStA, BPH Rep. 47, König Friedr. II, Nr. 1163, Bl. 1). Übers.: »Mit großem Schmerz habe Ich eben, durch Ihren Brief vom 3. dieses Monats, erfahren, dass eine lange Krankheit Sie so geschwächt hat, dass Sie nicht mehr die Kraft haben, Ihre Ämter an Meiner Academie des Nobles auszuüben, die Sie bisher mit solcher Auszeichnung erfüllt haben. Ich fühle den ganzen Verlust, den diese Einrichtung durch Ihren Rücktritt erleidet, und Ich bitte Sie, Mir zu helfen, diesen zu erleichtern. Derjenige, den Sie Mir vorgeschlagen haben, um Ihnen beizustehen und eines Tages nachzufolgen, passt Mir jedoch keineswegs. Ich will keinen Geistlichen für Ihren Posten, und Ich fürchte zu sehr die gewöhnlichen schlechten Eigenschaften seiner Herkunft. Die Schweiz ist reicher an guten Subjekten, die Jugend zu bilden. Ich erinnere Mich noch mit Vergnügen an die guten Dienste, die Sie dieser Einrichtung gezeigt haben, und das ist der Grund, der Mich dazu führt, Ihnen durch gegenwärtiges anzuordnen, einen Ihrer Landleute auszuwählen, um den Lehrstuhl auszufüllen, den Sie verlassen, und ihn Mir dann vorzuschlagen. Sie können Sich mit ihm genau so absprechen, wie Sie es mit dem Pfarrer Moulines vorhatten; und Ich soll zufrieden sein, wenn Ihre Nachforschungen meiner Erwartung entsprechen und wenn Ich in Ihrem Nachfolger die gleichen Talente und Kenntnisse wiedererkenne, die Ihnen Meine königliche Gunst zugezogen haben. In diesem Sinne bete Ich zu Gott, dass Er Sie erhalte. Potsdam am 5. August 1773«. Dieser Brief sowie ein weiterer vom 7. August 1773, die Sulzer Zimmermann als Abschriften übersandte, sind abgedruckt in: Bodemann Johann Georg Zimmermann 1878, S. 226.
an Haller
Nicht ermittelt.
Parisische Meister
Jacques-Henri Meister.
Herzog vorgeschlagen
Schreiben an den Herzog Peter von Biron nicht ermittelt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann