Brief vom 7. Oktober 1763, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 7. Oktober 1763

Berlin den 7 Octob. 63.

Wie wol ich erst vor wenig Tagen Ihnen geschrieben habe, mein theürester Freünd, so kann ich doch das Schreiben des Prinzen von Würtemberg nicht nach Zürich befördern, ohne Sie durch diese Gelegenheit zu grüßen. Füßli ist noch nicht angekommen, ob er gleich sich vorgenommen hatte mit Anfang dieses Monats hier zu seyn. Ich habe ihm im Sommer die Beschäftigung aufgetragen die Lettres of Milady Montague zu übersezen, die Reich unter die Preße genommen hat. Künftige Woche werden die Gedichte der Karschin herausgegeben, aber nur die schlechtern Exemplare, ohne Vignetten. Weil uns der Kupferstecher über der Arbeit krank geworden, so müßen wir mit den feinern noch einige Wochen Anstand nehmen. Sie werden demnach ihre Exemplare vermuthlich erst auf die Neüjahrs Meße bekommen können. Man hat mit solchem Ungestühm in mich gedrungen, zu einer Zeit, da ich kaum einen ruhigen Augenblik hatte eine Vorrede dazu zumachen, daß ich fürchte, sie werde sehr schlecht gerathen seyn. Wir haben doch ein kleines Capital von mehr als 3000 Gulden in gutem Gelde für die dürftige Dichterin zusamen gebracht. Ramler scheinet eyfersüchtig darauf zu seyn.

Wäre es Ihnen gleichgültig ob Füßli in diesem Land oder in England den Plaz fände, wo er seinen Wanderstab hinstellen könnte? Vielleicht könnte ich diesen Plaz hier für ihn finden. Aus ihrem lezten Brief urtheile ich; daß Sie gegen dies Helden land einige Vorurtheile haben, da Sie meine eigene Projekte ihrer Überlegung nicht werth geachtet haben. Ich glaube, daß ich nach sehr reiffer Überlegung den Schluß gefaßt habe eher in diesem, als meinem Vaterlande meine übrigen Tage zu zubringen. Ein Hauptgrund dazu ist, die Schwierigkeit Geld Capitalien bey Ihnen zugleich sicher und Vortheilhaft unter zubringen. Man muß schon reich seyn, wenn man blos von den Einkünften der Capitalien, die nur 3 pr. C. tragen, leben will. Hier ist es möglich, wenn man liegende Gründe kauft den genuß seines Vermögens dreymal höher zubringen. Da ich nun entschloßen bin künftig von keinem beschwehrlichen Amt abzuhängen, sondern meine Zeit blos zu Arbeiten der Feder, nach meinen eigenen Einfällen, anzuwenden, so wird Ihnen die Nothwendigkeit in der ich bin, mein Vermögen auf das beste zu Nuzen, deütlich einleüchten, zu mal da der Krieg es merklich vermindert hat. Ich schreibe Ihnen so umständlich hievon, weil ich sehr gerne ihren Beyfall für meine Unternehmungen haben möchte. Doch will ich ihn Ihnen nicht abzwingen, sondern Ihnen ihr Urtheil frey laßen.

Izt bin ich wieder völlig zur Arbeit eingerichtet und werde diesen Winter, wo ich gesund bleibe, recht wol anwenden. Ich finde, daß mir die Arbeit nach der Ruhe sehr angenehm wird. Meine lange abwesenheit hat die Bande verschiedener Bekanntschaften, die blos dienten mich zu zerstreüen, aufgelößt und ich lebe izt sehr viel einsamer, wie ehedem, und dies ist meiner izigen Art zu denken sehr angemeßen.

Wir hoffen hier, daß der Tod des Königs von Pohlen die Ruhe in Deütschland nicht stöhren werde. Voltaire hat durch seinen Catechisme raisonné einen neüen Anfall auf die Offenbahrung, sowol die alte als die neüe gethan. D'Alembert wird künftiges Frühjahr wieder kommen, und alsdenn allem Vermuthen nach die Präsidenten Stelle bey der Academie antreten. Es scheinet, als ob der König alle neüe Veranstaltungen in Absicht auf die Wißenschaften, wovon er beständig viel redet, bis dahin wolle anstehen laßen.

Ich umarme Sie von Herzen und bin auf das vollkommenste der Ihrige.

JGS.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

Herrn Profeßor Bodmer in Zürich.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Brief von Friedrich Eugen von Württemberg an H. H. Orell.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers am unteren Rand der letzten Seite: »den 20sten Octob. empfangen«. – Siegelreste.

Stellenkommentar

das Schreiben des Prinzen von Würtemberg
Nicht ermittelt. Zum Anlass der Korrespondenz zwischen Seckelmeister H. H. Orell und Friedrich Eugen von Württemberg vgl. Kommentar zu Brief letter-bs-1763-02-25.html.
die Lettres of Milady Montague
M. W. Montague, Letters Of the Right Honourable Lady M–y W—y M----e, 1763. Mit der Übersetzung begann Füssli in den Sommermonaten in Barth. Sie erschien Ende 1763 bei Weidmanns Erben und Reich als Briefe der Lady Marie Worthley Montague und ohne Angabe des Übersetzers. Füssli hatte Reich bereits im März 1763 persönlich kennengelernt und darüber Bodmer in seinem Brief vom 30. März 1763 unterrichtet: »Ich habe ihnen vergeßen zu melden, daß gleich nach unsrer Ankunfft Hr. Reich uns besuchetet, ein sehr artiger Mann, und wie es scheinet hat er sich als Buchhändler das gebot des Heilandes klug wie eine Schlange zuseyn, nicht so ganz und gar eigen gemacht«. (ZB, Ms Bodmer 1a.30, 1).
Kupferstecher
Johann Wilhelm Meil. Karschs Auserlesene Gedichte wurden schließlich mit Holzschnittvignetten von Johann Georg Unger nach Meil ausgestattet.
eine Vorrede dazu zumachen
Vgl. J. G. Sulzer, Vorrede. In: Karsch Auserlesene Gedichte 1764, S. VII–XXVI.
3 pr. C.
Drei Prozent (»per Cento«).
der Tod des Königs von Pohlen
König August III. von Polen, Kurfürst von Sachsen, war am 5. Oktober 1763 verstorben.
seinen Catechisme raisonné
Voltaire, Catéchisme de l'honnête-homme, 1763.
die Präsidenten Stelle bey der Academie
Siehe Brief letter-bs-1763-09-02.html.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann