Brief vom 7. September 1752, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 7. September 1752

Mein werthester Herr und Freünd.

Ich sehe dem Herbst mit Vergnügen entgegen, nicht wegen der Lustbarkeiten der Weinlese, die dieses Land nicht kennt, sondern wegen der Briefe die ich von Ihnen erwarte, und die mir immer schäzbarer und einigermaßen nothwendiger werden. Meine übrigen Freünde in der Schweiz schreiben mir selten, und von umliegenden Freünden und bekannten sehe ich beynahe gar keine mehr. Zum Theil liegt die Schuld an mir, indem meine Baugeschäfte mir Zeit und Muth zum Schreiben benehmen. Diese gehen nun aber bald zu Ende, denn in wenigen Tagen hoffe ich das dach auf mein Haus zu sezen. Ich werde eine sehr angenehme Wohnung bekommen, wo ich recht in dem Angesicht der Natur werde seyn können, und dort werde ich mit ungemeiner Lust wieder wie von neüem anfangen den Musen und der freündschaft zu dienen. Dort werde ich anfangen Melißen mit der Natur, mit ihr selbst und mit meinen Freünden bekannt zu machen.

Mit ihrem lezten Brief habe ihr Portrait und die lezten Bogen des 1 Theils von Criton bekommen, für beydes danke verbindlichst. Ich hätte mich durch den mir etwas unverständlichen oder vielmehr zweydeütigen Titel des Landbusems bald arg betrügen laßen. Weil ich ganz was anders Vermuthete, so wollte ich das Stük übergehen. Wie viel hätte ich durch diese Eilfertigkeit verlohren. Ich finde Sie nirgend so sehr nach meinem Herzen, als in solchen kleinen Gedichtchen, dergleichen auch ein paar in den neüen Crit. Briefen sind. Ich will sie deswegen dem Noah nicht an die Seite sezen. Ich ärgere und betrübe mich zugleich über das stumpfe Gefühl der Menschen, da ich so wenig hier vom Noah reden höre. Weil ich mir vorgesezt hatte mit keinem einzigen von den hiesigen Kennern oder Liebhabern der Poesie zuerst davon anzufangen, (dazu hatte ich besondere Gründe) so habe ich bis auf diese Stunde nicht erfahren, ob Ramler oder seine Freünde ihn gelesen haben. Es ist, als wenn sie mich zwingen wollten davon anzufangen. Jezo kann man hier Exemplare haben. Ich wünsche aber doch recht sehr, daß Sie, so bald es angehen will, eine Auflage davon hierzulande veranstallten laßen. Die Menschen suchen das gute nicht, es muß Sie suchen, oder vielmehr man muß es Ihnen erst aufdringen. Ich hoffe daß Hr. Sak, wann er nur einmal aus Gewißen Geschäften wird heraus seyn, den Noah hier ein wenig ausbreiten wird. Denn jezo sehe ich lauter Leüte die nichts anders als steinerne und hölzerne Buchstaben kennen.

Wißen Sie schon, daß Klopstok sich wird verheyrathen? Nicht mit der Schmidtin, sonder mit einem Hamburgischen Mädchen. Er ist vor 4 Wochen in Quedlimburg gewesen, und Ramler hat ihn bey Gleimen gesprochen. Nun ist er wieder in Coppenhagen. Man sagt die Schmidtin habe ihn ungeachtet ihrer Neigung nicht heyrathen mögen, aus furcht ihr Vermögen möchte bey ihm nicht gut aufgehoben seyn.

Der Antiovid ist allerliebst. Aber vom Herman kann ich noch nichts zu sehen bekommen. Sie haben mir das Blatt nicht geschikt, das Sie mir versprochen. Künftige Meße schike ich Ihnen einen Noah mit kurzen Anmerkungen wieder zurük.

Hier schike ich Ihnen einen Brief von Voltairen an den Card. Quirini. Dignum patella operculum. Ich ärgere mich, daß kein deütscher den Geist gehabt den Cardinal zu turlupiniren. Der [→]abbé Prades ist vom König als Lecteur angenommen worden. Hier in Berlin hat er sich noch nicht gezeiget.

Sie werden wol [→]von dem Streit gehört haben, den unsre Academie oder vielmehr unser President mit Hrn. König hat. Hr. Heß war bey der Sentenz zu gegen und kann Ihnen sagen, was ich schreiben könnte.

Erinnern Sie doch diesen Freünd seines Versprechens, mir zu schreiben. Er ist noch der einzige Schweizer von denen, die ich hier kennen gelernt, der mein Herz mit sich genommen. Der junge Escher hat sich sehr ungeschikt hier aufgeführt. Und jezo reißt ein junger Meyer, des Spittalmeisters Sohn sehr mißvergnügt über mich von hier. Er ließ mir bey seiner Ankunft sagen, er hätte einen Brief für mich, ich möchte ihn bey ihm abholen, und er foderte von mir Lectionen in der praktischen Geometrie, aber in seinem wirz Haus. Weil ich auf keine von diesen Invitationen antwortete, so hielt er mich für einen Hochmüthigen Menschen. Mich dünkt es wäre nöthig, daß man in Zürich ein Tribunal aufrichtete, vor welchem sich alle Jungen Herrn legitimiren müßten ehe sie in frömde Länder reißten, damit man die zu Hause behalten könnte, die durch viele Umkosten blos das erlangen daß man von ihnen und ihrem Vaterland auswerts sehr übel urtheilet.

Haben Sie die Recension gesehen, die Haller vom Noah gemacht hat? Sie ist für einen halben Überläuffer noch gut genug.

Der Noah hat Kleisten nicht mehr in Potsdam gefunden. Er ist Ihnen näher, als uns, in dem er sich jezo in Speyer aufhält. Meine Liebste empfiehlt sich Ihnen Bestens. Empfehlen Sie mich ihren Freünden.

Ich verharre

Ihr ergebenster Fr.
Sulzer.

den 7 Sept. 52.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 185–188 (Auszug).

Einschluss und mit gleicher Sendung

Epître de Monsieur de Voltaire au Cardinal de Quirini, 1752.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »beantwortet den 29 Octob. durch Einschluß Hn Direct. Schuldheiß«.

Eigenhändige Korrekturen

die durch viele
die blos durch viele

Stellenkommentar

mit einem Hamburgischen Mädchen
Klopstock heiratete Margareta (Meta) Moller 1754. Zu Klopstock und Moller vgl. Clauss Liebeskunst 1993, S. 17–81.
Brief von Voltairen
Siehe Einschluss. Der in Form einer Ode verfasste und auf den 7. Januar 1752 datierte Brief Voltaires anlässlich der Errichtung einer römisch-katholischen Kirche in Berlin. Voltaire thematisiert darin das Toleranzgebot Friedrichs II. Die Epistel wurde zunächst als Einzeldruck veröffentlicht, in einer weiteren Ausgabe zudem um drei erklärende Briefe Voltaires an Quirini vom Juni, September und November 1752 ergänzt. Eine deutsche Übersetzung erfolgte im selben Jahr durch Georg Andreas Will.
abbé Prades [...] als Lecteur
Jean-Martin de Prades, Theologe und Beiträger der Encyclopédie, flüchtete wegen religiöser Verfolgung nach Preußen, wo er privater Vorleser des Königs wurde. Wegen des Verdachts der Spionage für Frankreich im Siebenjährigen Krieg verbannte ihn Friedrich II. nach Schlesien, wo er 1782 starb.
Streit [...] mit König
Samuel König, den Sulzer bereits persönlich von einer Begegnung im Jahr 1750 in Göttingen kannte (Sulzer, Lebensbeschreibung, 1809, S. 30), war wegen einer Arbeit über das Prinzip der kleinsten Wirkung in eine heftige Auseinandersetzung und einen Prioritätsstreit mit Maupertuis geraten, der ihn einst gefördert hatte. König, auf dessen Seite Sulzer stand, behauptete darin, dass die wesentlichen und zutreffenden Grundlagen des von Euler und Maupertuis für sich beanspruchten Principe de la moindre action schon von Leibniz in einem Brief an Jakob Hermann im Jahr 1707 formuliert worden waren. Maupertuis fühlte sich durch Königs Darstellung angegriffen und verlangte von diesem als Nachweis den originalen Brief von Leibniz, den König jedoch nur als Abschrift aus einer Briefsammlung des 1749 hingerichteten Samuel Henzi besaß. Nachforschungen Königs in der Schweiz nach dem originalen Brief blieben erfolglos. Obgleich es zur persönlichen Versöhnung zwischen König und Maupertuis kam, verlangte letzterer von der Akademie, den Brief öffentlich als Fälschung zu verurteilen. Samuel König schickte daraufhin sein Diplom an die Akademie zurück und verließ Berlin. Der Streit sorgte für viel Aufsehen. U. a. schlug sich Voltaire auf die Seite Königs und verspottete Maupertuis in der Satire Diatribe du Docteur Akakia. Vgl. Harnack Geschichte der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1900, Bd. 1, S. 332–338.
Hr. Heß war bey der Sentenz
Zur Akademiesitzung vom 13. April 1752, an der neben Caspar Heß auch der Schweizer Theologe Johann Heinrich Hirzel teilnahm, siehe Winter (Hrsg.) Registres der Berliner Akademie 1957, S. 177 f.
die Recension
Hallers Rezension von Noah, ein Heldengedicht in 12 Gesängen in den Göttingischen Zeitungen von Gelehrten Sachen, St. 63, 26. Juni 1752, S. 623–627. Bereits 1750 waren hier die Rezensionen des ersten und zweiten Gesangs (18. Juni 1750, S. 501 f.) und des dritten Gesangs (24. August 1750, S. 695 f.) erschienen. Siehe auch den Abdruck der Besprechungen in: Guthke Hallers Literaturkritik 1970, S. 339 f. Zu Hallers Rolle im Literaturstreit, auf die Sulzer hier mit dem »halben Überläuffer« anspielt, vgl. ebd. S. 72–95.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann