Brief vom 12. November 1757, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 12. November 1757

Mein wehrtester Freund.

Der Brief vom 22 Oct. ist Hrn. K. richtig zugekommen und wir haben den feind in Sparta vernommen. Die geniali tedeschi haben groß gethan, und sich befremdet daß Hr. prof. S. nicht ein corps von den 240000 M. die er in dem schreiben vom 20. Sept. auf die beine gestellt hat, zur beschüzung seiner Residenz behalten hat. Aber was war es mehr als daß dieben in der Nacht gekommen, und einen grossen König bestohlen haben. Seitdem sind wir von unsern Französischen und Östr. Gazettiers für Magdeburg, für Leipzig, für den Prinz Heinrich in Furcht und segensvolle Erwartungen gesezt worden. Man schwört daß der K. in allem nicht mehr als 70. 80. tausend M. habe; daß Breßlau vor dem Winter in östr. händen seyn werde, daß ganz sachsen geraumt seyn müsse ehe Martini gekommen. Der Waffenstillstand mit Richelieu wird aus Solothurn widersprochen. Wenn er aber auch gleich statt haben sollte, so ist es nur ein Repit, über den Winter wird man sich von ost und west mit Hunderttausenden stärken; das kan der K. nicht, er hat schon alle seine macht erschöpft; die guten alten Truppen sind dahin, die neuen sind in gering. Zahl und ungeschikt; viel Hunde sagt man sind des Hasen Tod. Also sieht man nichts als Gespenster, und es hilft nichts daß man replicirt, ein Löwe ist vieler Hasen tod und dergleichen. Der schluß ist [→]frange miser calamum vigilataque prœlia dele. Es waren in der that schlachten und siege auf dem papier vorbereitet worden, die noch auf den ausgang warten.

Kennt man bey ihnen [→]l'Europe ridicule, und was noch calomnieuser ist Reflexions dun Suisse sur les motifs de la Guerre presente. Es ist leid daß die Schweizer der Calomnie den nahmen leihen müssen. Der quark kommt aus Straßburg. Wir haben hier so viel überfluß an östr. schriften als mangel an Preussischen. Ich weiß nicht ob weniger preussische existieren, oder ob sie den weg in unsere gegenden nicht finden.

Viele leute haben zwey gewichte, das gewicht des Heiligthums, mit welchem sie die Handlungen des K. abwegen p. und ein weltliches, womit sie den gegentheil beurtheilen. Andere hangen am glük der waffen, sie halten einen sieg für ein judicium Dei. Andere sezen gratuitement eine Invasion zum grund, dann halten sie die göttliche strafgerechtigkeit für verbunden den Invasorem ihre schwere hand fühlen zu lassen. Von allen disen Arbeiten des geistes und des blutes wollte ich lieber von und mit ihnen moralisieren. Zum wenigsten wollen wir warten bis der frieden uns mehrere freiheit erlaubt.

Wenn die Husaren es nicht aufgefangen haben so bekommen sie die Larve und das Banket wider, damit nach ihrem belieben zu verfahren, te judice vel stabunt vel cadent. Ich arbeite ein trauerspiel, die Schweizer über dir Zürich oder der bürgermeister Stüssi. Ich erlaube mir Shakespears freiheiten. Es ist ein ganz politisches stück, dem es nur an Shakespears geiste fehlt. Wieland hat eine Epopee angefangen deren helden er uns befohlen hat zu verhölen. Es ist ein weltlicher held, der unsere potentaten eine weisheit lehren kan, die sie sonst in der Cyropedie sollten gelernt haben. Gewiß die grösten Generalen könnten da noch lernen. Es ist aber leichter ein Cæsar oder Turenne als ein Cyrus zu werden.

Ein andrer übersezt Homers iliade in guten und geschikten Hexametern, mit der Treue, die Pope verabsäumt hat. Ein andrer hat Homers Hymne fliessend und stark in eben diser Versart übersezt.

Unser neue Theologus hat eine synodaldissertation geschrieben die nicht ein jota Theologisches hat. Sie ist ärger als ⟨salmasisch. Hr. Heß von Neftenbach hat dagegen opponirt. Wir hatten eine Comödie, dergl. nie gespielt worden. Mit der ersten gelegenheit sende ich Ihnen dieses corpus delicti.

Wir wissen daß die Ermahnungen der verstorbenen übersezt sind, und freuen uns darauf.

Ich hatte ein Trauerspiel geschrieben Diethelm von Toggenburg in der meinung solches tecto nomine der Gesellschaft der schönen wissenschaften zuzufertigen aber ich habe izt eine zu kleine meinung von disen leuten bekommen.

Der sel. Zimmerman hatte sein leben sehr naif nach seiner art beschrieben, wir haben eine Abschrift davon bekommen, welche bey gelegenheit der Michaelismesse Hn Sack sollte zugefertiget werden. Sie ist aber verspätet worden, und wartet izt auf die nächste gute gelegenheit.

Hierbey kömmt ein brief von m. l. Schwager dessen angelegenheit ich Ihnen ferner bestens empfehle.

Ihr gehors. Ergebenst. Dr.

den 12 Novemb. 1757.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Brief von Felix Orell.

Eigenhändige Korrekturen

zugefertiget werden
zugefertiget haben werden

Stellenkommentar

Brief vom 22 Oct.
Sulzer an Künzli, Berlin, 22. Oktober 1757 (SWB, Ms BRH 512/73).
frange miser
Iuv. sat. II, 7, 27. Übers.: »Zerbrich den Stift, vernichte die in durchwachten Nächten entstandenen Schlachten.« (Juvenal, Satiren, 2017, S. 237).
l'Europe ridicule [...] Reflexions dun Suisse
[J. N. Moreau], L'Europe ridicule, 1757. – [J.-H. Maubert de Gouvest], Réflexions d'un suisse, 1757.
eine Epopee angefangen
Wieland arbeitete an dem Gedicht Cyrus, das die Heldentaten Friedrichs II. zum Thema haben sollte.
eine synodaldissertation
J. C. Hagenbuch, De tē tōn ton logon dexamenōn eugeneia Actor. XVII. versu XI. laudata. Die Dissertation wurde im Herbst 1757 von Sulzers Neffen Salomon Brunner verteidigt.
als ⟨salmasisch
Vermutlich Anspielung auf den französischen Theologen Claude Saumaise (Salmasius).
Ermahnungen der verstorbenen
Ermahnungen der Todten in Briefen an die Lebendigen, von gewissen Geistern beyderley Geschlechts an ihre Freunde oder Feinde auf Erden; zur Beförderung der Religion und der Tugend. Aus dem Englischen, 1757. Der Übersetzer war Johann Georg Müchler. Auf Müchler ging auch die (nicht realisierte) Idee zurück, Leibniz, Sulzer und Lambert ein gemeinsames Denkmal in Berlin zu errichten.
eine Abschrift davon bekommen
Breitinger hatte das handschriftliche Manuskript an Sack, der mit Johann Jakob Zimmermann einen engen Briefwechsel pflegte und einen Nachruf auf diesen Freund plante, im Herbst 1757 geschickt. Vgl. dazu Pockrandt Biblische Aufklärung 2003, S. 101. Zwei Kopien der 1747 begonnenen und bis 1756 fortgesetzten Lebensbeschreibung Zimmermanns sind in Bodmers Nachlass erhalten (ZB, Ms Bodmer 41.28).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann