Brief vom 31. März 1755, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 31. März 1755

Mein wehrtester auferstandener Freund.

Ihre Wiederkunft ins leben ist mir tausendmal willkommen! Die nachricht davon hat allen ihren Freunden in W. und Z. das Herz erquiket. Wir waren eine Zeitlang sehr um sie besorget, wiewol wir dem gerüchte, das von ihrer Krankheit gieng auf keine gewisse spur kommen konnten. Und wir waren mehr um ihr Gemüthe als um ihren Körper besorget. Der himmel habe dank, der nicht gewollt hat, daß ich meine wenige übrigen jahre, ohne Sie zum Reisegesellen zu haben, in dieser irdischen wallfahrt zubringen sollte! Da ich Sie nicht mehr mit mir auf einer Erde, obgleich so weit entfernt, gewust hätte, wäre dise Erde mir einsamer, abgeschmakter, närrischer, böser vorgekommen. Und warum nicht, da mit ihnen so viele Freundschaft, so reiner Geschmak, so viel verstand, und Güte davon geflogen wären? Ich hänge allein durch sie noch an Deutschland; und an welchem dünnen faden hangen Sie selbst noch an dieser armen, niederträchtigen, kleinmüthigen Nation! Lasset uns die übrigen uns gegönneten tage fröhlich in unschuld, muthig mit behutsamkeit, voll großer hoffnungen ohne phantasien fortleben. Der theuren Frau Professorin danke ich herzlich für die standhaftigkeit, die sie in disen schweren umständen, in der grossen Gefahr ihren besten Freund zu verlieren, bewiesen hat, noch mehr danke ich ihr für den schönsten trost, den sie Ihnen für alle ihre ausgestandenen schmerzen gebracht hat, die andere Melissa. Aber wir wollen dise nicht für eine andere, wir wollen sie für unsere erste Melissa halten, welche nur ihre Behausung verändert, und aus einer kranken baufälligen, in dise stärkere hinübergegangen ist.

Wie glüklich wäre ich, wenn sie aus meinen schriften in ihrer Krankheit, in ihrer Nachbarschaft des todes, einigen Muth und Erquikung gezogen hätten! Was für eine schöne sache ist es um einen scribenten, der so die ursache der großmuth, des glaubens, der gemüthsstärke anderer wird! Ich meine, ich könne so ansprache auf die tugend machen, die ich aufgemuntert, erhöhet, habe. Vergönnen sie mir, mein theurester, daß ich mich in den häßlichen Anfällen, die einige Zeither von bösen Menschen auf mich geschehen, mit disen schmeichelhaften Vorstellungen aufrichte. Sie haben doch ohne zweifel von der Aesthetik in einer Nuß gehört; sie wissen wie man den Noah verkleidet, zerrissen, zerstochen, gekreuziget, ⟨vergiftet⟩ hat; wie man mir eine Kappe mit schellen über den Kopf gezogen und dem Pöbel zugerufen hat, es wäre meine Kappe. Wo ich Nerven und leben habe, nimmt man sie mir mit Nadelstichen. Steige ich vom boden empor, so nimmt einer den Ellensteken als seinen Maßstab, strekt den Kopf, und ruft mir nach, ich solle hinunter kommen mich von ihm messen zu lassen. Ich soll auf alle steinchen Achtung geben, welche die Ameißen auf meine bahn mögen geleget haben.

In disen harten Anfällen nicht der geringste Trost von meinem Sulzer! Ich danke ihm für seine gute meinung von meinem Muthe. Gewiß hat er mich für stark genug gehalten dergleichen Widerwärtigkeit ohne beistand auszuhalten. Ganz recht. Sollte ich mich durch ein elendes gespötte von dem pfade der Ehre verscheuchen lassen, und nicht den muth haben die gabe zu brauchen, die ich von gott empfangen haben? Ich habe so zu mir selbst gesagt:

Hasse mich Gottsched und Schoenaich; es ist nur goettliche Gyte
Dass ihr mich hasset; ihr hasset am meisten die tugend u. ehre.

Denn wir zweifeln nicht, daß nicht Schönaich und Gottsched die Übelthäter seyn, welche die wurmstichige Nuß aufgeknackt haben, wiewol wir es bißher nicht rechtsförmig beweisen könnten. Wenn wir die bosheit lobten, und die laster predigten, so könnte man nicht ärger mit uns umgehen. Es muß gewiß wenig Ehre, wenig Tugend, in Deutschland übrig seyn, wenn ihre Besizer bey diser gelegenheit nicht ins feuer kommen. Aber wie fürchte ich es sey nur ein Sulzer, der sich des geschmakes, der sitten (und wie nahe sind dise verwandt) mit einiger Gefahr, mit einiger Ungelegenheit, annehme. Die bosheit hat es nicht politisch angestellt, sie hatte dazu zu vil tummheit, da sie uns mit den Hallern in eine linie gestellt hat; sie hätte den saamen der Zwietracht ausstreuen können, er hätte hier und da einen fruchtbaren boden gefunden. Ich glaube nicht daß der Ammann sich gern mit dem zweyhundertmännischen Rathe gepaart sehe. Die Hexameter und die biblische poesie sind ihm zuwider. –

Es hat hier leute gegeben, die nur Hallern bedauert haben, sie meinten es hätte mit Bodmern keine Noth gehabt, er hätte es durch seine ewigen anfälle auf Gottscheden nicht besser verdient.

Es soll noch arger kommen, man drohet uns aus Leipzig mit einem Lobgesang auf unsere Epopöen, der keinem geringern als dem Adramalech, dem Hohenpriester der Hölle in den mund geleget werden soll. Diser soll uns für die Dienste, die wir dem Reiche der hölle thun, seine besten provinzen zu beherrschen geben.

Ich muß Ihnen eine Probe vorlegen, daß ich unter den lästerungen nichts weniger als erlegen bin; sie sind noch nicht verdunstet und ich habe den Muth mich dem Fluche und dem Hohne in beigelegten epischen fragmenten von neuem auszusezen. Herr Wieland hat sich in disem werke an meine seite gestellt, mir zur Bedekung. Ich habe keine Gedanken daß Hr. Klopstok die Freiheit übel nehmen werde, womit er sich an das Weltgericht und die Cidli gewaget hat. Wolle nur Gott daß Klopstock ehender nicht zu den himmlischen Chören gesammelt werde, bevor er dise stücke noch im Fleische gesehen hat. Es ist nicht nur erlaubt sondern lobenswerth, daß er auf dise art gespornt werde. Wieland ist wahrhaftig ein poet. Klopstok muß großmüthig seyn, und es erkennen, und bekennen. Ist es nicht besser in einer sache vortrefflich zu seyn, worinn es mehrere seyn können als die einzige person zu seyn, die etwas unternommen hat?

Hr. Zachariä hat ein armes Gedicht auf den sel. Hag: gemacht; Die deutsche dichtkunst wird in eine seltsame Gesellschaft gebracht, die mit ihr nichts zu thun haben, als mit ihr wider zu verschwinden, nachdem sie eine lange standrede gehalten hat. Ich bekomme mein urtheil mit denen andern

[→]die sich zu früh mit Miltons Kräften messen

zu viel bey Engeln sind und menschen darum vergessen. Doch fällt dises noch stärker auf Klopstok; Zachariä scheint ein zweideutiger freund von ihm zu seyn. Ich erwarte etwas bessers von Ebert und Giseke oder gar nichts. Doch dise Herren lieben ihre gemächlichkeit. Ich erinnere mich nicht daß einer von ihnen einen speer für die Messiade gebrochen habe.

Man betriegt sich, wenn man glaubt diser poetische Messias könne sich durch seine eigene Kraft durch die Dunsen durchschlagen; der wahre Messias hat den Dienst der Evangelisten Apostel, und Märterer gebraucht. Die grossen Schriftgelehrten, Jacobi, Sak, Jerusalem, können es nicht wol entschuldigen, daß sie die Messiade so ⟨ausfizeln⟩ lassen; sie geben dem Argwohn plaz daß sie nicht genug einsehen, wie viel den guten sitten am geschmake gelegen ist.

W. und G. haben verschiedene Entwürfe, die sie ausführen wollen, wenn Hr. Gleim den antidunsischen bund annimmt den sie ihm angetragen haben: Z. E. etliche briefe der Abgestorbenen in guter prosa, Neukirch soll Gottscheden bestrafen, daß er seine abgeschmakten schriften im gedächtnisse der leute zu erhalten sucht; Mylius soll Schönaichen sagen, was er in der andern Welt für seine Zotenreisserey, die er an dem vortrefflichen Pyra ausgestossen hat, vor schande leiden muß; Werenfels muß Jacobi die schuldigkeit vorhalten, die ein Theologus auf sich hat, sich des geschmackes, und ins besondere der biblischen Epopöe gegen die Dunsen anzunehmen. Ferner eine Erdichtung daß ⟨Christius⟩ in seinem hohen alter es gewaget habe, einige blicke in die Messiade zu werfen, das er sonst niemals gethan hat. Die Würkung war daß er sie homerisch befindet. –

Sie haben wirklich Hrn. Gleim etliche [→]briefe gesandt die einem sohne Carl Grandisons zugeleget werden, der nach Deutschland gekommen, sich mit den sitten, den Maximen, den poeten der Nation bekannt zu machen.

Ich selbst gebe mich mit den Dunsen nicht ab, meine stunden werden mir täglich kostbarer; sie wollen denn das Gedicht auf den satyrischen Hexameter hierher nehmen, welches eine art von Dunciade seyn mag.

Nun ist meine poetische tasche ausgeleert; gewisse guten leute werden dem himmel dafür danken. Doch nein; ich habe noch den Fall der Lilith im vorrathe. Ich übergebe Ihnen mein werthester dieses stück auf leben oder Tod, bestimmen sie ihm sein schiksal. Es ist in einem eigenen Gesichtspunkt geschrieben, den sie leicht entdeken werden. Aber halten sie allemal den Verfasser verborgen, ich habe mehr als eine ursache verborgen zu bleiben. Hier weis weder Wiel. noch Hr. Breit. den Verfassser. Ich überlasse dem Verleger, lateinische oder deutsche Buchstaben zu brauchen.

Sie werden doch das empfangen haben, was ich ihnen durch Hrn. Bamberger im September gesandt habe. Und im vorigen Februar habe ein briefchen für sie Hrn. Gleim eingeschlossen, als Wieland und Geßner disem ihren Bund angetragen haben. Ich widerhole Ihnen, daß ich von Hn von Hagedorns Briefen an mich, nichts bekannt machen werde; meine freundschaft gegen disen redlichen mann soll nach seinem tode leben, sie ist auf tugend und rechtschaffenheit gegründet. Sagen sie dises seinem bruder, wenn sie ihm schreiben, und fragen ihn zugleich um einen Entwurf von einem schäferspiele das Cimon und Iphigenia genannt; ob man den nicht unter des Seligen schriften gefunden habe. Ich möchte das unvollkommene ding gern wieder zurüknehmen.

den 10. Merz.

Sie können die epischen Fragmente von meiner und Wielands Musen, von Spener und Haude fodern, ich habe Orell und Comp. gebeten, ein exemplar für sie beyzulegen. Aber mit der Lilith, die ich Ihnen auch versprochen, kann ich nicht wort halten. Ein junger freund von meinen hat meine handschrift ein volles halbes jahr im Hause gehabt, und da ich darauf gezählet, daß er sie abgeschrieben hätte, war nicht eine Zeile davon geschrieben. Izt bin ich damit ein wenig verlegen, und genöthiget eine neue Entschlissung zu nehmen.

Hr. Gleim hat Wielanden und Geßnern auf ihren antrag noch nicht geantwortet. Es scheint er sey ihm nicht anständig. Es wäre mir leid, wenn ich mit ihnen in diesen bund getreten wäre: Aber man hat mir von Gl. moralischen Charakter gesagt er sey in dieser Absicht so gut ein Deutscher als die –schedianer. Ich hoffe doch, er werde Ihnen den brief an Sie, den ich den briefen Hn. Geßners und Wielandens eingeschlossen hatte, zugefertiget haben. Der Inhalt davon war nicht durchgehends ostensible. Lassen sie mich doch den Empfang davon, und von dem briefe, den Hr. Bamberger an Sie übernommen hat, und disem gegenwärtigen wissen, sobald es nur seyn kann. Izt ist Hr. Noltenius bey uns; ich werde ihn nicht zu Ihnen zurükreisen lassen, ohne Ihm etwas an Sie mitzugeben.

Ohne Zweifel wird Hr. Escher bald zu uns zurükkommen, sein haus in meiner nachbarschaft wartet auf ihn. Ich weiß nicht ob ich mir mehr als bürgerliche nachbarschaft von ihm versprechen darf.

Ich bin allezeit vorhabens nach pfingsten mit Hr. Breitinger und Hr. Hessen von Neftenbach nach Trogen zu gehen. W. wird nicht mit uns gehen, er bleibt lieber daheim, bey den Frauenzimmern, die seine Weisheit mit andacht anhören. – –

Was machen Ramler und Lessing? Ich habe Ramlers gedicht vom schachspiel nicht bekommen können. Es scheint es sey nicht auf die Messen geführt worden. Ich sollte es darum haben, weil es uns den ganzen Kunstrichter verräth.

Hr. Dr. Hirzel hat die Seligkeit der ehlichen liebe in Hexametern geschrieben, die besser sind, als was er sonst geschrieben hat. Ich stehe immer sehr gut mit den jüngern freunden, die mir 1750 Klopstoken geraubet haben. Sie sind ernsthafter geworden: Allemal die zwo ersten stunden ihrer wochentlichen zusammenkünfte lesen sie den Esprit des loix, und sie lesen ihn mit Einsicht und mit gefühle. Ich wohne nicht selten diesen Lectüren bey, welche mit ihren eigenen betrachtungen, Einfällen, und applicationen begleitet werden. Sie haben die gefälligkeit für mich, daß sie sich des Tabakrauchens, so lange ich bey ihnen bin, enthalten. Denn ich kann den Rauch davon nicht mehr ertragen. Einige davon sind izo des grossen rathes, und andere werden es bald werden.

Leben sie gesund und vergnügt mit Ihrem wehrtesten hause, und daß sie so leben, melden Sie so oft es ihr herz Ihnen sagt

Ihrem ergebensten Freund
und gehorsamen Diener
Bodmer

am Ostermontag 1755.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers am oberen Rand der ersten Seite: »Aprill 55«.

Eigenhändige Korrekturen

sache vortrefflich
sache glüklich und vortrefflich
daß er sie abgeschrieben
daß er essie⌉ abgeschrieben

Stellenkommentar

W. und Z.
Winterthur und Zürich.
Lobgesang auf unsere Epopöen
Möglicherweise geht es hier um die 1755 anonym in Leipzig erschienene Bodmerias, in fünf Gesängen von Christoph Carl Reichel, in der sich die Figur des Adramelech mit Bodmer verbündet.
armes Gedicht auf den sel. Hag:
Zachariaes Gedicht dem Gedächtnisse des Herrn von Hagedorn gewidmet, in dem auch zahlreiche Seitenhiebe gegen Gottsched und dessen Versuch einer Critischen Dichtkunst enthalten sind.
zu früh mit Miltons Kräften
Ebd. S. 18.
briefe [...] Sohne Carl Grandisons zugelegt
Bodmers und Wielands Edward Grandisons Geschichte in Görlitz, 1755.
Gedicht auf den satyrischen Hexameter
Das Gedicht wurde gedruckt in: [J. J. Bodmer, C. M. Wieland], Fragmente in der erzæhlenden Dichtart, 1755, S. 128–132.
ostensible
Hier: »zeigbar«.
Hr. Noltenius
Der preußische Hof- und Domprediger Ludwig Samuel Noltenius. Zu ihm und den von ihm redigierten Vermischten Abhandlungen und Urtheile über das Neueste aus der Gelehrsamkeit siehe Kommentar zu Brief letter-bs-1756-03-17.html.
Seligkeit der ehlichen liebe
[H. C. Hirzel], Die Seligkeit ehelicher Liebe, 1755. Hirzel verfasste das Gedicht anlässlich der Hochzeit seines Bruders Salomon.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann