Brief vom 17. März 1751, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 17. März 1751

Wie sehr bin ich Ihnen des Noah halber verpflichtet! Ich habe alle ihre Erinnerungen, mehr oder weniger, genutzet: Fahren sie immer fort, ihn zu beurtheilen! Noah soll nicht pedantisch werden; wol ein wenig dogmatisch, wenn die Unterredungen wegen des Cometen, der Mengen Wassers, dogmatisch sind. Es ist doch sehr natürlich daß meine personen von disen rührenden sachen alles sagen was sie wissen; doch sollen sie nicht alles, und was sie, sagen, so poetisch einkleiden als seyn kann. Des Abbadonan Rolle habe ich getheilt. Dieser Engel sollte doch die Liebe der leser aus der Messiade haben. Die gemählde in der Arche hangen doch so genau an dem werke der Erlösung als die III. ersten Gesänge der Messiade. Sie sind ein Compliment für Kl. Man könnte mich einer übrigen Rancune beschuldigen, wenn ich sie verwürfe. Für das metrum will ich sorgen, aber wie wenn der leser nicht scandiren kann!

Gleich izt empfange ich Ihren dritten brief. Es ist sehr gut, daß sie Hagedorn etwas von den Klopstokischen geschichten gemeldet haben. Es ist wahr, ich habe eine Ode geschrieben, Kl: zurükzurufen; sie wäre doch bey Ihnen, mein Freund, vor allem Mißbrauche gesichert! Seinen grausamen brief habe ich Hn. Heßen auf tod und leben überlassen. Meine Aussöhnung war nicht so fest cimentiert, daß sie mir einige Autorität gegen Rahn verschaffet hätte. Rahn tractierte Dr. Hirzel, Werdmyller – als seine und K–s calumnianten. Ich kann wol begreiffen, was Ramlers verächtliches stillschweigen sagen wolle: Ich will ihm zu gefallen noch manchen Vers geschmeidiger machen, und hier und dar mehr poesie anbringen: aber ich muß auch nicht weibisch oder Odenmässig werden. Ramler hat einen feinen Geschmak, und ein ⟨küzliches⟩ ohr; aber wie tief sind seine Einsichten in die gründe der poesie? Ich denke das Sujet gefällt ihm zuerst nicht. Es giebt auch hier Mylios, die Noah und die Syndflut eines Hauptmangels in der Action beschuldigen. Sunith hält Dr. Hirzel für eine Coureuse und journaliere. Kleist hat viel gutes vom Noah nach Zürich geschrieben. Gleim scheint ihn bekehrt zu haben. Ich muß doch wenigstens aus politik Gleims freundschaft behalten. H. machte mir einen charakter von ihm, der ihn bey mir verhaßt machete. Cramer, und Kl–s Ältern, haben doch eine mächtige Überzeugung von dises poeten Kenntniß der Welt und Kunst zu leben, daß sie seinetwegen kein wort nach Zürich geschrieben haben. Ich habe viel mitleiden mit seinen Ältern, die ihn für ihren SchutzEngel verehren, und ihre bessere subsistenz von ihm erwarten. Dr. Hirzel läst Kleists opera druken. Der fryhling fängt immer mit der Syndflut an. Kleist hat ihn aufgemuntert, die seefahrt druken zu lassen.

Was für ein artiges thema haben sie erwählt, von der theorie des angenehmen und des schönen! Wir leben in einem wunderlichen Seculo, da so gute, und so elende schriften geschrieben werden.

Ich habe mein pourtrait Hn direct. Schuldheß in einem artigen Kistchen für Sie übergeben. Es ist schwarz und dunkel. Mit den Meßleuten schike ich ihnen den Jacob und Joseph ungeachtet ihres verdammenden stillschweigens. Ich mag doch die Critik wol tragen, anch'io sono critico. Das kömmt mir ungelegen, daß ich meine sachen nicht nach willen rechtfertigen darf, weil es mir allzuleicht für Haberechterey aufgenommen wird. Wer glaubte mir daß es nur Verlangen sey auf den grund zu kommen und zu untersuchen? Mit diesem will ich mich nicht loosreden, daß ich nicht die feile noch ein paar mal über den Noah gehen lasse. Ich verbleibe mit Hochachtung und Liebe

Ihr ergebenster Bodmer.

den 17 Merz 1751.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »17 März 1751«.

Stellenkommentar

Rancune
Übers.: »nachtragende Boshaftigkeit«.
Hirzel läst Kleists opera
[E. C. v. Kleist], Der Fryhling. Ein Gedicht. Nebst Einem Anhang einiger anderer Gedichte von demselben Verfasser. Zyrich. Bey Heidegger und Compagnie, 1751. Die Ausgabe enthielt wiederum eine Vorrede Hirzels und war für 4 Groschen zu erwerben.
anch'io sono critico
Anspielung auf den angeblichen Ausspruch Corregios »Anch' io sono pittore« (»auch ich bin Maler«) vor einem Bild Raffaels.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann